Bitte nicht schütteln! „Shaken Baby Syndrome“ in der Elternberatung

Bitte nicht schuetteln

„Schlaf, Kindlein schlaf …“ erklingt es an vielen Babybettchen. Aber was, wenn das mit dem „Träumelein“ nicht so wirklich gut klappen will und Mama oder Papa statt des „Bäumeleins“ aus lauter Verzweiflung irgendwann das Kindlein selbst schütteln? In der Beratung ist man auch als Expertin immer wieder mal mit belastenden Themen konfrontiert. Das mag jetzt erst einmal hart klingen, passiert aber gar nicht so selten. Gerade, wenn die intuitive Fähigkeit der Eltern, das eigene Baby gut beruhigen zu können, von außen negativ beeinflusst wird. Das kann zum Beispiel durch anhaltenden Schlafentzug, allgemeine Erschöpfung, eine Wochenbettdepression, traumatische Geburtserlebnisse, Verlustereignisse oder auch ein Schreibaby der Fall sein. Jährlich werden schätzungsweise zwischen 100 und 200 Kinder mit Schütteltraumata in deutsche Kliniken eingeliefert. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Daher ist es auch in der Arbeit mit Eltern wichtig, wachsam zu sein und im Falle eines Falls prompt zu reagieren.

Was Eltern dazu bringt, ihr Baby zu schütteln

Mit dem Thema Babyschlaf haben wir uns bereits in drei Expertentipps des Monats ausführlich auseinandergesetzt. Hier haben Eltern viel über die kindliche Schlafentwicklung erfahren, wie sie ihre Kleinen durch Co-Regulation unterstützen und welche Einschlafhilfen sie in welchen Monaten einsetzen können. In den oben genannten Belastungssituationen funktioniert die Kommunikation zwischen Eltern und Kind und damit auch die Co-Regulation durch die Eltern aber nur noch eingeschränkt. Das Baby kann also seine Fähigkeit, das eigene Verhalten entsprechend den kognitiven, emotionalen und sozialen Anforderungen in bestimmten Situationen nicht mehr angemessen steuern. Oft wird dies noch verschlimmert, wenn das Baby mehr Bedürfnisse hat, als man eigentlich vermuten würde.

Dafür hat Dr. William Sears, Prof. für Kinderheilkunde, den Begriff High-Need-Babys geprägt. Er bezeichnet damit jene Babys, die besonders intensive Betreuung benötigen, die hyperaktiv, fordernd, ständig wach, unzufrieden, unberechenbar und übersensibel sind. Sie werden als anstrengend empfunden, weil sie ständig gefüttert werden müssen, sich nicht ablegen lassen oder sich nicht trennen können. Derartige Faktoren können das Zusammenspiel aus elterlicher Unterstützung und kindlicher Selbstregulation so weit beeinflussen, dass es zu Regulationsstörungen kommt, wie exzessivem Schreien, Schlaf- und Fütterstörungen, ständiger Unruhe, Dysphorie mit Spielunlust, exzessivem Klammern und Trotzen, sozialer Ängstlichkeit oder persistierenden Trennungsängsten. Kurz: Das Baby scheitert bei der Bewältigung alterstypischer Krisen und die Eltern kommen mehr und mehr an ihre Belastungsgrenze.

Laut einer Studie aus den USA leiden etwa 16 bis 29 Prozent aller Säuglinge in den ersten drei Monaten unter exzessiven Schreiattacken. Das birgt die Gefahr, dass Eltern sich irgendwann überfordert fühlen, die Beherrschung verlieren und ihr Kind schütteln. Was bedeutet dies in der Praxis? Es ist ein massives, heftiges und gewaltsames Hin- und Herschütteln des an den Oberarmen oder des Brustkorbes gehaltenen Kindes (erstmalig 1970 beschrieben). Und das kann zu einem Schütteltrauma, dem sogenannten „shaken baby syndrome“ (SBS) kommen.

Was beim „shaken baby syndrom“ passiert

Misshandlungsbedürftige Kopfverletzungen, zu denen in erster Linie das Schütteltrauma zählt, sind bei Säuglingen und Kleinkindern die häufigste nicht natürliche Todesursache. 10 bis 30 Prozent der Babys sterben an den Folgen des Schütteltraumas, 50 bis 70 Prozent überleben dieses Ereignis mit lebenslangen körperlichen oder geistigen Behinderungen und Krampfleiden. Durch das unkontrollierte Schütteln verschiebt sich das vergleichsweise schwere und noch sehr flüssigkeitsreiche Gehirn des Babys. Dadurch können Venen zerreißen, die das Hirngewebe mit der Durameter verbinden. Es kommt zu Blutungen zwischen Hirnrinde und Gehirn. Der Aufprall führt zu Prellungen und Quetschungen, was zu Ödemen führt. Damit kommt es zu Schwellungen, Wassereinlagerungen und Blutungen, die irreparable Zerstörungen von Zellgewebe zur Folge haben und zum Tod führen können.

Woran man ein Schütteltrauma erkennt

Häufige Symptome sind: Trinkschwäche, Schläfrigkeit, Unruhe, Apathie, epileptische Anfälle, Erbrechen, Herzrhythmusstörungen, Atemstörungen, Apnoe, Seh- und Sprachstörungen, Blässe, Reizbarkeit, Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen, Prellungen, Hämatome.

Die Diagnose wird oft sehr spät gestellt, daher sollten betreuende Personen im Umfeld der Familie wachsam sein. Außerdem wird die Diagnose oft dadurch erschwert, dass die Eltern keine Angaben zum vorausgegangenen Ereignis machen. Bei Auffälligkeiten gilt jedoch: sofort ins Krankenhaus!

Im Rahmen der Diagnostik können dort folgende Methoden eingesetzt werden:

  • Sonografie von Gehirn und Rückenmark bei Verdacht auf Schütteltrauma, um Blutergüsse in diesem Bereich zu diagnostizieren
  • MRT und/oder CT-Diagnostik

Eine Diagnose wird oft anhand von drei Beobachtungen getroffen:

  • Blutungen und Flüssigkeitsansammlung zwischen Hirnrinde und Gehirn.
  • Blutungen in der Netzhaut des Auges.
  • Keine Hinweise auf äußere Verletzungen und Fehlen deutlicher Erklärungen der Eltern zur möglichen Ursache.

Fakt ist: ein Baby zu schütteln, stellt eine Kindesmisshandlung dar. Daher macht es Sinn, Eltern auf jeden Fall auch in der Wochenbettbetreuung als Hebamme oder Kursleitung oder auch in der frühkindlichen Beratung über die Ursachen, Auslöser und Folgen aufzuklären.

In einer der nächsten Folgen unseres Expertentipps des Monats geben wir Eltern noch ein paar Tipps an die Hand, die ihnen helfen, wenn sie in eine Überforderungssituation geraten. Dies kann dann auch in einer Elternberatung weiterhelfen!

Materialien und weitere Informationen:

https://www.fruehehilfen.de/grundlagen-und-fachthemen/fachthemen/babyschreien-und-schuetteltrauma/

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