Chefwissen: Direkter Haut- und Körperkontakt zum Baby ist wichtig

Natürlich kuschelt ihr ständig und ununterbrochen mit eurem kleinen Schatz, hat er es nach neun langen Monaten endlich zu euch auf die Welt geschafft. Aber macht ihr das auch mit direktem Hautkontakt? Und so richtig lange?

Unser Chefwissenschaftler Dr. Henrik Norholt aus Kopenhagen hat sich für uns mal ein paar Studien vorgenommen, die sich mit genau diesem Thema beschäftigen. Er selbst ist Mitglied der „World Association of Infant Mental Health“ und studiert seit 2001 die Effekte des Babytragens und deren Einfluss auf die Psyche und motorische Entwicklung des Kindes. Diese Expertise und vor allem seine Erkenntnisse solltet ihr euch also nicht entgehen lassen.

 

Wie lange sollten Sie direkten Hautkontakt zu Ihrem Baby pflegen?

Historische medizinische Entwicklungen haben zu einer aktuellen Praxis geführt, in der viele Babys in den ersten Stunden und vielleicht sogar Tagen nach der Geburt in engem Körperkontakt gehalten werden. Diejenigen Eltern, die das Konzept des Babytragens befürworten, werden dann normalerweise dazu übergehen, das Baby (und sich selbst) anzuziehen und das Baby in einer Tragehilfe wie einer Schlinge, einem Tuch, einer weichen Babytrage oder ähnlichem zu tragen.

Aber könnte es sein, dass uns etwas entgeht, wenn wir in den ersten Monaten nach der Geburt diese „Kleidungs-Barriere“ zwischen unserem Baby und uns als Bezugsperson schaffen?

 

Hautkontakt vs. „bekleideter Kontakt“ nach der Geburt

Eine einzigartige russisch-schwedische Forschungskooperation hat einige Erkenntnisse bezüglich dieser spezifischen Fragestellung gewonnen. In ihrer Versuchsaufstellung teilten sie Neugeborene in verschiedene Gruppen ein. Eine Gruppe hatte nach der Geburt direkten Hautkontakt mit der Mutter. Eine weitere Gruppe hatte ebenfalls Körperkontakt, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese Kinder angezogen waren und somit der direkte Hautkontakt fehlte. Eine dritte Gruppe wurde nach der Geburt getrennt und erst nach mehreren Stunden wieder zur Mutter zurückgebracht.

Die Forscher führten mehrere Messungen durch. Eine der Messungen zielte auf die Fähigkeit der Neugeborenen ab, an verschiedenen Körperstellen eine stabile Temperatur aufrechtzuerhalten. Die Temperatur wird hier als ein Indikator der stressbedingten Auswirkungen auf die Durchblutung des Babys angesehen. Eine geringere Temperatur der Extremitäten, zum Beispiel der Füße, würde somit ein höheres Stressniveau des Babys widerspiegeln. Beim Temperaturvergleich der Füße in 15-Minuten-Intervallen innerhalb der drei Gruppen über einen Zeitraum von 120 Minuten nach der Geburt, war die Temperatur der Hautkontaktgruppe am höchsten, bei der Gruppe mit „bekleidetem Körperkontakt“ niedriger und sogar noch niedriger bei der getrennten Gruppe.1

Wie lassen sich diese Ergebnisse interpretieren? Es scheint vor allem, dass Neugeborene, die Kontakt zu ihrer Mutter haben, ein niedrigeres Stressniveau haben als Neugeborene, die von ihr getrennt wurden. Aber wir können auch einen deutlichen Unterschied in der physiologischen Reaktion (der Temperatur) sehen, wenn es eine Kleidungsbarriere gibt. In diesem Fall verringerte die Kleidung die Wirksamkeit des Mutter-Neugeborenen-Kontakts bei der Regulierung der Fußtemperatur des Neugeborenen.

Aber das ist nicht das Ende der Geschichte: Die Forscher haben außerdem Messungen der kindlichen Selbstregulation durchgeführt, als die Babys 12 Monate alt waren. In dieser Studie bezieht sich die Selbstregulation auf den Ausdruck positiver oder negativer Emotionen und Verhaltensweisen des Kindes während sozialer Interaktionen. Und hier wurde eine fast exakte Spiegelung der Temperaturergebnisse festgestellt. Die Kinder mit direktem postnatalen Hautkontakt verhielten sich signifikant besser als die Kinder, die nach der Geburt von ihren Müttern getrennt wurden, wobei die Kinder mit „bekleidetem Kontakt“ wieder dazwischen lagen.2

Was könnte die vorläufige Schlussfolgerung dieser Studie sein? Es scheint, dass Kleidung bei Neugeborenen im Vergleich zu direktem Hautkontakt die optimale physiologische Regulierung negativ beeinflusst. Der „bekleidete Kontakt“ ist jedoch immer noch deutlich besser als eine Trennung.

 

Hautkontakt über die unmittelbare postpartale Phase hinaus

Wissen wir, was passiert, wenn Babys auch über die postpartale Phase hinaus direkten Hautkontakt erlebt haben? In einer kanadischen Studie wurde eine Gruppe von Müttern aus der Mittelschicht gebeten, im ersten Monat nach der Geburt täglich direkten Hautkontakt zu Ihrem Baby zu pflegen. Zum Vergleich schlossen sie eine weitere Gruppe von Müttern aus der Mittelschicht in die Studie ein, denen absichtlich kein direkter Hautkontakt vorgeschlagen wurde.

Durch diesen Studienaufbau konnten sie verschiedene Erkenntnisse erlangen. Erstens: Sind kanadische Mütter aus der Mittelschicht bereit und in der Lage, täglich direkten Hautkontakt zu pflegen, wenn sie vom medizinischen Personal dazu aufgefordert und dabei unterstützt werden? Zweitens: Wie viel direkten Hautkontakt haben normale kanadische Mütter aus der Mittelschicht tatsächlich, wenn niemand ihnen diese Praxis vorschlägt – diese Gruppe könnte die „kulturelle Norm“ des direkten Hautkontakts kanadischer Mittelschicht-Mütter darstellen.

Die Studie zeigte, dass kanadische Mütter aus der Mittelschicht, wenn sie von medizinischem Personal dazu aufgefordert werden, tatsächlich bereit und in der Lage sind, täglichen Hautkontakt von etwa 5-6 Stunden pro Tag in der ersten Woche nach der Geburt zu pflegen, und von 2-3 Stunden pro Tag in den Wochen 2-4.

Es zeigte sich auch, dass die kanadische Kulturnorm in der Mittelschicht (durch Betrachten der Vergleichsgruppe), bezogen auf den direkten Hautkontakt im ersten Monat nach der Geburt, auf nahezu null hinausläuft – d. h. weniger als 30 Minuten pro Tag.

Wie hat sich dieser „ungewöhnliche“ oder „nicht-kulturelle“ Ansatz des täglichen Hautkontakts im ersten Monat nach der Geburt im Vergleich zum normalen Ansatz von sehr wenig täglichem direkten Hautkontakt also auf die Entwicklung der Mütter und ihrer Babys ausgewirkt?

Mütter, die täglich direkten Hautkontakt hatten, waren in der Lage länger zu stillen und litten auch weniger an depressiven Symptomen.3,4Sie schienen auch weniger gestresst zu sein, mit einer deutlicheren Reduzierung des Stresshormons Cortisol im ersten Monat.4

Die sozio-emotionale Entwicklung der Babys war stark beschleunigt – nach drei Monaten ähnelte ihr Verhalten in einem bewährten psychologischen Test (Still Face Test) dem, was man normalerweise von Babys im Alter von 6-7 Monaten erwarten würde.5Dieses Verhalten in einem so jungen Alter deutet auch auf eine sichere spätere Bindung hin. Alles in allem demonstriert die Studie also spezifische Auswirkungen des täglichen Hautkontakts, die in den perinatal-medizinischen Kreisen und in solchen, die sich mit der geistigen Gesundheit von Kleinkindern beschäftigen, sehr gefragt sind.

Idealerweise hätte die Forschungsgruppe auch noch eine „Babytrage-Kontrollgruppe“ miteinbezogen, so dass es möglich gewesen wäre, die Unterschiede zwischen den Babys zu testen, die mit direktem Hautkontakt oder in bekleidetem Zustand getragen wurden.

Meines Wissens deckt das den aktuellen Forschungsstand ab, der es uns ermöglicht, Entscheidungen darüber zu treffen, wie wir uns in den ersten Monaten nach der Geburt in Bezug auf die Frage nach direktem versus „bekleideten“ Kontakt verhalten sollten – sowohl als Eltern als auch in perinatal-medizinischen Berufen.

Empfehlungen an die Eltern

Basierend auf den Erfahrungen aus der kanadischen Studie empfiehlt Prof. Bigelow, der die Studie initiiert und geleitet hat, dass die Eltern in der Zeit nach der Geburt täglich direkten Hautkontakt zu ihren Babys suchen sollten – idealerweise mehrere Stunden pro Tag. Wenn Eltern eine Babytrage benutzen, die direkten Haut- und Körperkontakt ermöglicht, haben sie die Hände frei, um bei Bedarf häuslichen oder beruflichen Aufgaben nachzugehen, während sie gleichzeitig optimal für ihr Baby sorgen.

Was die Dauer des direkten Hautkontakts betrifft, stellte Prof. Bigelow fest, dass die Babys in der Studie ihren Eltern im Durchschnitt signalisierten, dass etwa ein Monat täglicher direkter Hautkontakt ausreicht. Wie bei allen Erziehungsvorschlägen empfehlen wir Ihnen, den Signalen und Bedürfnissen Ihres Kindes zu folgen und so lange weiterzumachen, wie es Ihrem Baby Freude zu bereiten scheint.

 

Quellen
  1. Bystrova K, Widström AM, Matthiesen AS, et al. Skin-to-skin contact may reduce negative consequences of “the stress of being born”: a study on temperature in newborn infants, subjected to different ward routines in St. Petersburg. Acta Paediatr Oslo Nor 1992. 2003;92(3):320-326.
  2. Bystrova K, Ivanova V, Edhborg M, et al. Early contact versus separation: effects on mother-infant interaction one year later. Birth Berkeley Calif. 2009;36(2):97-109. doi:10.1111/j.1523-536X.2009.00307.x
  3. Bigelow AE, Power M, Gillis DE, Maclellan-Peters J, Alex M, McDonald C. Breastfeeding, skin-to-skin contact, and mother-infant interactions over infants’ first three months. Infant Ment Health J. 2014;35(1):51-62. doi:10.1002/imhj.21424
  4. Bigelow A, Power M, MacLellan-Peters J, Alex M, McDonald C. Effect of mother/infant skin-to-skin contact on postpartum depressive symptoms and maternal physiological stress. J Obstet Gynecol Neonatal Nurs JOGNN NAACOG. 2012;41(3):369-382. doi:10.1111/j.1552-6909.2012.01350.x
  5. Bigelow AE, Power M. The effect of mother-infant skin-to-skin contact on infants’ response to the Still Face Task from newborn to three months of age. Infant Behav Dev. 2012;35(2):240-251. doi:10.1016/j.infbeh.2011.12.008

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