Hebammenarbeit im Fokus: Postpartale Depression oder Baby-Blues?

Ergobaby Swaddler

Die Schwangerschaft und die darauffolgende Geburt sind für eine Frau lebensverändernd. Es ist eine emotionale Zeit voller Höhen und Tiefen, die Hormone spielen verrückt und alles verändert sich. Nicht jede Frau kommt mit diesen einschneidenden Veränderungen im Leben gleich gut klar. Viele sorgen sich, ob sie ihrer neuen Rolle als Mutter gerecht werden können, wissen nicht, wie sie das alles wuppen werden und sind dazu noch übermüdet und erschöpft. Die Folge ist nicht selten der Baby-Blues oder sogar eine postpartale Depression. Doch worin liegt hier eigentlich der Unterschied? Wie erkennt man eine psychische Erkrankung? Wie sehen die Therapiemöglichkeiten aus? Unsere Hebamme und Trageexpertin Katrin Ritter hat diese „Heultage“ in der Praxis oft beobachtet und möchte in ihrem heutigen Post vor allem auf die so wichtige Rolle der Hebamme in diesem Zusammenhang hinweisen.

Der Baby-Blues oder auch eine postpartale Depression schleichen sich in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt des Kindes ein. Plötzlich ist alles neu und unklar. Es kommt zum Hormonabfall (Progesteron und Östrogen) und der Schutz vor Depressionen und Stimmungsschwankungen fällt weg. Hinzu kommen Schlafentzug und die Verarbeitung der Geburt, die für einen nicht unerheblichen Teil der Frauen manchmal auch traumatisch sein kann. Während die Symptome eines Baby-Blues jedoch nur einige Stunden bis hin zu zwei Wochen andauern und eher eine psychische Empfindlichkeit darstellen, sind die einer Depression deutlich schwerer und vor allem länger anhaltend.


Zu den Symptomen des Baby-Blues können gehören:

  • Stimmungsschwankungen
  • (übertriebene) Sorgen um die Zukunft und das Neugeborene
  • Niedergeschlagenheit (keine Depressivität)
  • Weinerlichkeit
  • Reizbarkeit
  • Überforderung
  • Weinen
  • Konzentrationsverlust
  • Leichte Appetit- und Schlafstörungen

Zu den Symptomen einer postpartalen Depression können gehören:

  • Depressive Stimmung oder schwere Stimmungsschwankungen
  • Übermäßiges Weinen
  • Bindungsschwierigkeiten mit dem Kind
  • Zurückziehen von Familie und Freunden
  • Appetitverlust oder übermäßige Lust aufs Essen
  • Schlaflosigkeit (Insomnie) oder Schlafsucht (Hypersomnie)
  • Überwältigende Erschöpfung oder Energieverlust
  • Weniger Interesse oder Spaß an vorher beliebten Aktivitäten
  • Leichte Reizbarkeit und Ärger
  • Angst, keine gute Mutter/kein guter Vater zu sein
  • Gefühl der Wertlosigkeit, Scham, Schuld oder Unzulänglichkeit
  • Verringerte Fähigkeit klar zu denken, sich zu konzentrieren oder Entscheidungen zu treffen
  • Starke Angstgefühle und Panikattacken
  • Überlegungen, sich oder dem Kind etwas anzutun
  • Wiederkehrende Selbstmordgedanken

Die Hebamme als Schlüsselfigur

Mit 10-15% sind postpartale Depressionen die häufigste psychische Störung in der Zeit nach der Geburt. In Deutschland sind jährlich 70 000 Mütter, deren Kinder und Partner davon betroffen. Die Dunkelziffer ist jedoch noch viel größer, denn leider werden nur annähernd 50% der Fälle erkannt und behandelt. Woran liegt das? Viele Frauen und auch Väter – denn die können ebenso von einer postpartalen Depression betroffen sein – wollen sich eine psychische Erkrankung nicht eingestehen („Ich bin nicht der Typ für Depressionen“, „Ich beiße die Zähne zusammen und mache weiter“). Sie versuchen, den gesellschaftlichen Anspruch einer „perfekten Mutter“ oder eines „perfekten Vaters“ zu erfüllen. Nach außen hin wahren sie den Schein, dass alles okay sei, doch dabei übernehmen sie sich. Leider dreht sich gerade dadurch der Teufelskreis immer weiter, die Depression entsteht oder verschlechtert sich. Bis zu dem Punkt, an dem sie einfach nicht mehr können.

Das Fatale: dieser Zustand hat nicht nur Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Eltern, sondern auch auf das Kind. Koliken, Schlafprobleme, übermäßiges Weinen und Verhaltensauffälligkeiten, aber auch später auftretende geistige Leistungseinschränkungen, Verhaltenshemmungen und emotionale Unausgeglichenheit sind nicht selten die kindliche Reaktion auf die psychische Erkrankung der Mutter bzw. der Eltern.

Umso wichtiger ist es, die Anzeichen einer psychischen Erkrankung frühzeitig zu erkennen bzw. ihnen entgegenzuwirken und sie aktiv zu behandeln. Da die Hebamme in der Regel, meist als einzige Ansprechpartnerin, sehr früh engen Kontakt mit den Familien hat, kann sie hier die Schlüsselfigur sein. Sie sollte den emotionalen Zustand der Mutter, aber auch des Vaters, von Anfang an im Blick haben und nicht zögern nachzufragen oder auf die Symptome aufmerksam zu machen. Sie kann Hinweise zum Stressabbau geben, auf die verschiedenen Therapiemöglichkeiten hinweisen und diese sogar anstoßen. Auch der betreuende Gynäkologe sollte in einer solchen Situation mit ins Boot geholt werden. Medizinisch anerkannte Behandlungswege sind dabei die Gesprächstherapie (interpersonelle Therapie, Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie) und die medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva, oft auch im Rahmen eines stationären Klinikaufenthaltes. Wobei die Antidepressiva Gabe bei einer stillenden Mutter nur bei einer schweren Form der Depression und unter entsprechender Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden sollte.

Alternative Therapiemöglichkeiten

Da eine postpartale Depression in der Regel durch unterschiedliche Formen von Stress ausgelöst wird, ist der Einsatz diverser Stress-Management-Mechanismen ein wichtiger Ansatz, um das Risiko einer Depression zu verringern oder die Symptome bei einer leichten oder moderaten Form der Erkrankung zu lindern. Dazu gehören verschiedene Atemübungen, der Körperscan, geführte Visualisierungstechniken, Berührungstherapie, Lichttherapie, Akupunktur, Achtsamkeitsmeditation, Yoga, Tai Chi, Qigong, gesunde Ernährung, soziale Unterstützung und Tagebuchführen.

Ein weiterer Therapiebaustein ist aber auch die allgemeine soziale Unterstützung der Mutter, auf die die Hebamme in ihrer alltäglichen Arbeit hinweisen kann. Dazu zählen unter anderen eine verlängerte Hebammenbetreuung, eine Haushaltshilfe durch die Krankenkasse, eine Familienhebamme, die intensive Einbindung des Partners (Elternzeit), aber auch Selbsthilfegruppen. So hat die betroffene Mutter mehr Zeit für sich und kann in kleineren Schritten lernen, sich in der neuen Situation zurechtzufinden. 

Eine kanadische Studie hat zudem gezeigt, dass direkter Hautkontakt zwischen Mutter und Kind Depressionssymptome mindern kann. Es ist die erste Studie überhaupt, die diese Wechselwirkung über mehrere Monate hinweg untersucht hat, wie Dr. Henrik Norholt, Mitglied der „World Association of Infant Mental Health“, in einem unserer älteren Blogartikel betont. Die Ergebnisse lassen für ihn die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen eines Babys in einem Tragetuch oder einer Babytrage ebenfalls den Stress und damit die Symptome einer Depression lindern kann. Zum einen fördert das ergonomische Tragen (Haut auf Haut) das so wichtige Bonding zwischen Eltern und Kind, zum anderen hat man die Hände frei, um alltägliche Dinge zu erledigen, die sonst liegen bleiben und Stress erzeugen können. Gleichzeitig kann man aber auch für den Nachwuchs da sein, seinen Atem, seinen Herzschlag und seine Bedürfnisse spüren und rechtzeitig darauf reagieren. Das beruhigt viele Eltern ungemein. Ein flotter Morgenspaziergang mit dem Nachwuchs in der Trage verdoppele den Effekt zusätzlich. Denn die positive Wirkung von Bewegung, frischer Luft und Tageslicht sei nicht zu unterschätzen, so der Wissenschaftler aus Kopenhagen.

Überhaupt ist es keine gute Idee, sich in einem depressiven Zustand zurückzuziehen oder einzuigeln. Besser ist es, soziale Kontakte aktiv zu suchen oder einzufordern. Zum Beispiel, indem man andere Mütter oder Väter trifft, an Tragespaziergängen teilnimmt und sich bei dieser Gelegenheiten über das Elterndasein austauscht – über Schwierigkeiten aber auch über die schönen Seiten. Ganz offen und ehrlich. Denn so merkt die oder der Betroffene schnell: Ich bin nicht allein. Wie mir geht und ging es vielen anderen auch. Und den einen oder anderen Tipp für den alltäglichen Umgang mit dem eigenen Nachwuchs kann man dabei sicherlich auch noch abgreifen.   

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