Es ist noch nicht lange her, da haben wir euch an dieser Stelle erklärt, dass die körperlichen Gegebenheiten eines Neugeborenen so ausgelegt sind, dass er wunderbar und ganz natürlich mit einer ergonomischen Tragehilfe getragen werden kann. Den Fokus hat unsere Trageexpertin Katrin im ersten Teil ihrer Erklärung auf Hüfte und Beine des kleinen Menschleins gelegt. Diese sind nämlich nach der Geburt noch so geformt und positioniert, dass dieses kleine Wesen insgesamt eine eher leicht gekrümmte Haltung einnimmt – mit voneinander leicht abgespreizten und gut angehockten Oberschenkeln. So ist es prädestiniert dafür, aufrecht und nah am Körper getragen zu werden.
Und die leicht gerundete Form des Babyrückens trägt ihren Teil dazu bei. Dieser scheint nach außen hin so rund, dass sich Begriffe wie „Rundrücken“ oder „C-Rücken“ etabliert haben. Vor allem im Zusammenhang mit Babytragen und der korrekten ergonomischen Position des Winzlings in ebendieser fallen diese Begriffe sehr häufig, werden aber auch mindestens genauso häufig kontrovers diskutiert. Einfach weil die Empfehlung, dass ein Baby in der Trage neben der M-Position auch einen gerundeten Rücken aufweisen muss, differenzierter betrachtet werden sollte. Denn eine kindliche Wirbelsäule verändert sich stetig und deshalb ändert sich auch die Haltung des Babyrückens in der Trage über die Monate hinweg kontinuierlich.
Basiswissen: Die menschliche Wirbelsäule
Aber was heißt das jetzt für den Anwender einer Babytrage oder eines Tragetuchs? Was ist die gesündeste Haltung für das Baby? Soll der kindliche Rücken in Tragehilfen eher leicht gerundet oder doch eher gerade sein? Noch vor einiger Zeit war es ja sogar noch Trend, dass man die Babys liegend in Tüchern oder Ring Slings getragen hat, also mit stark gerundetem Rücken. Allerdings wurde dann festgestellt, dass dies sowohl auf die kindliche Wirbelsäule als auch auf die Atmung und Kopfhaltung negative Auswirkungen hat. Glücklicherweise wurde davon wieder Abstand genommen.
Um eine Antwort darauf zu finden, was nun richtig und gesund ist, wollen wir zunächst klären, was wir überhaupt über die Wirbelsäule wissen. Zunächst einmal wissen wir, dass die Wirbelsäule eines Erwachsenen nicht gerade ist. Das bedeutet, sowohl die sieben Halswirbel als auch die fünf Lendenwirbel sind nach vorne zur Brust/zum Bauch gekrümmt (Lordose), während die zwölf Brustwirbel sowie die Kreuzbein- und Steißbeinwirbel nach hinten gekrümmt (Kyphose) sind. Die so entstehende doppelte S-Form wirkt wie eine Feder, die Stöße und Bewegungen abfedert und gleichmäßig auf die Wirbelsäule verteilt. Das Gehirn wird so vor heftigen Erschütterungen geschützt. Bei einem Baby fehlt diese „Sicherheitsvorkehrung“ noch, so dass die Eltern und die entsprechend passende Tragehilfe diese Funktion übernehmen müssen.
Der Begriff der Totalkyphose (Rundrücken) ist unpassend
Soweit
so gut. Aber wie sieht denn nun die Wirbelsäule eines Babys aus? Dr. Evelin
Kirkilionis, Verhaltensbiologin, Buchautorin und Mitgründerin der
Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM), hält den Begriff der
Totalkyphose (totale Rundung der Wirbelsäule) unpassend. Dieser wird häufig von
Trageberaterinnen und Hebammen verwendet und in Elternzeitschriften, Babyforen
und entsprechenden Social-Media-Kanälen verbreitet. Sie sagt, „der Begriff ist
nicht nur negativ belegt, er impliziert auch, dieWirbelsäule des
Neugeborenen sei bei der Geburt durchgängig konvex (nach außen gewölbt)
gebogen.“(1)
Auch ihr habt wahrscheinlich schon oft Sätze gelesen wie: „Der Babyrücken soll
sich im Tuch schön runden können“ oder „Die Tragehilfe muss den Rundrücken des
Babys stützen“. Was ist da denn nun dran? Laut der Verhaltensbiologin kann man nur
in der Embryonal- und anfänglichen Fetalentwicklung von einer durchgehenden
„Wirbelsäulenrundung“ sprechen, ab der 20. Schwangerschaftswoche allerdings schon
nicht mehr. Nach Gynäkologe und Buchautor Christof Sohn gibt es bereits im Verlauf der 16.-23. Schwangerschaftswoche
neben der typischen Brustkyphose (nach hinten gebogen), eine Krümmung sowohl
zur Hals- als auch zur Lendenlordose (nach vorne gebogen). (5) Und Kinderphysiotherapeutin
und Autorin Birgit Kienzle-Müller sagt sogar, dass schon in der 8. Woche eine
Wirbelsäule zu erkennen ist, die eindeutig für den aufrechten Gang bestimmt
ist. Die S-förmigen Schwingungen sind zu erkennen, allein die eindeutige
Lordose-Stellung in der Hals- und Lendenwirbelsäule fehlt noch. Man spricht
hier von einer fehlenden Flexionsstellung. Die Wirbelsäule befindet sich also NICHT
in einer Totalkyphose. (3) Vermutlich entsteht der äußere Eindruck eines runden, kindlichen
Rückens einerseits durch die ausgeprägte Brustkyphose (nach hinten gebogen),
die optisch den größten Anteil ausmacht und andererseits durch eine geringe
Beckenneigung in Kombination mit der kaum ausgeprägten Gesäßmuskulatur. (1)
Zusammengefasst sagen die Experten also, dass die kindliche Wirbelsäule zum Zeitpunkt der Geburt weder gerade noch komplett rund ist. Sie besitzt bereits einen leicht lordosierten Halswirbelbereich und einen gering lordosierten Schwung im Lendenwirbelbereich (1). Zusammen mit der natürlichen Hüft-, Becken- und Beinstellung (M-Position) ergibt sich also nur äußerlich der Eindruck, dass das Baby nach der Geburt einen „echten“ Rundrücken hat. Allerdings machen genau diese anatomischen Gegebenheiten aus uns Menschen eben „aktive Traglinge“ . Denn unsere Haltung als Baby ist perfekt, um sich an den mütterlichen Körper zu klammern und das Getragenwerden somit aktiv zu unterstützen.
Was dies nun wiederum für Konsequenzen auf die Auswahl einer Tragehilfe hat, verraten wir euch demnächst in unserem 3. Teil – Der kindliche Körper ist gemacht fürs Tragen- die Wahl der passenden Tragehilfe, eines aber schon vorweg: Wichtig ist den kindlichen Rücken immer adäquat in seiner natürlichen Haltung (je nach Entwicklung) zu stützen! Bitte keine Zwangshaltung forcieren, ein Zusammensacken des Oberkörpers vermeiden und immer die Atmung des Babys im Auge behalten.
Quellen:
- Dr. E. Kirkilionis, Haltung bewahren, Hebammenforum 5/2014
- Dr. E. Kirkilionis, Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte- dargestellt und charakterisiert am Jungentypus Tragling Teil 1 und 2
- Birgit Kienzle-Müller, Entwicklung und Entfaltung des kindlichen Rückens – Bedeutung für das Kind in der Trageberatung, Tagungsband Dresdner TrageTage 26.-28.05.2016. Birgit Kienzle-Müller, Meilensteine der Entwicklung
- Sohn, Holzgreve, Tercanli: Ultraschall in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme 2003
- Sohn, Holzgreve: Ultraschall in der Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme 2012