Intensiver Kontakt ist gut für das Baby

Liebste Ergobaby-Freunde,

durch unseren Expertentipp des Monats erfahrt ihr ja regelmäßig Neues für den Alltag mit eurem kleinen Schatz. Oder aber ihr fühlt euch zumindest bestätigt, in dem was ihr eh schon macht. Die Hauptquellen für dieses Wissen sind bekanntermaßen Sandra und Mieke. Doch ab sofort ergänzen wir die Expertenriege in unserem Ergobaby Blog.

Viermal im Jahr folgt an dieser Stelle ein ausführlicher Expertenrat – für die ganz Wissbegierigen unter euch mit Literaturnachweisen. Also so richtig hieb- und stichfest belegt mit allem drum und dran und pipapo. Urheber dieser wissenschaftlichen Ergüsse: unser Chefwissenschaftler Dr. Henrik Norholt aus Kopenhagen, Dänemark. Er ist Mitglied der „World Association of Infant Mental Health“ und studiert seit 2001 die Effekte des Babytragens und deren Einfluss auf die Psyche und motorische Entwicklung des Kindes. Ein richtiger Kenner also.

In seinem ersten Beitrag will er anhand der Verhaltenspsychologie erklären, warum ein Baby in bestimmten Momenten schreit und wie man es beruhigen kann. Ein Blick auf die unterschiedlichen Kulturen darf dabei natürlich auch nicht fehlen:

Wir alle träumen von einem ruhigen, glücklichen Baby.

Ergobaby Expertentipp 1

Einige von uns haben aber Babys, die zu oft oder zu lange weinen, und die sich trotz intensiver Anstrengungen nicht beruhigen lassen. Als Eltern sind wir darauf programmiert, heftig auf das Weinen unseres Babys zu reagieren. Wir wissen instinktiv, dass das Weinen des Babys bedeutet, dass etwas mit ihm nicht stimmt, und in Ordnung gebracht werden muss. Gelingt es uns nicht, die Ursache für das Weinen zu finden, dann weckt das Zweifel an unseren Fähigkeiten als Eltern und kann zu enormem Stress und großer Frustration führen. Wenn ein Baby lange und unaufhörlich weint, führt das leider häufig dazu, dass einige Eltern das Weinen des Babys als manipulativ ansehen und in den schlimmsten Fällen kann diese Fehleinschätzung zu heftigen Reaktionen der Eltern führen. Das Schütteltrauma, ein potentielles Ergebnis einer solchen Überreaktion, kann tragischerweise zu irreparablen Gehirnschäden bei den Säuglingen führen1.

Die Kultur der westlichen Welt misst Unabhängigkeit einen hohen Stellenwert bei. Einige Eltern erwarten, dass Neugeborene schon kurz nach ihrer Geburt lernen, unabhängig zu sein. Zu diesem Zweck trennen wir als Eltern unsere Kinder häufig in einem eigenen Zimmer von uns ab. Es gibt allerdings eine steigende Anzahl von Studien an Menschen und Tieren, die zeigen, dass wir für die routinemäßige Trennung der Babys von ihren Eltern – selbst auf einem aktuellen kulturell vertretbaren Niveau – einen hohen Preis bei der Entwicklung bezahlen, inklusive möglicher Langzeitschäden bei der Stressregulierung, dem Wohlbefinden, den sozio-emotionalen und kognitiven Funktionen.2,3,4,5

Die meisten Erwachsenen, auch diejenigen, die es gut meinen, haben für diese Idee wenig Verständnis. Babys schon. Und aus diesem Grund protestieren sie gegen die Trennung von ihrer einzigen bekannten Quelle für Wärme, Nahrung und Sicherheit auf die einzige ihnen zu Verfügung stehende Art und Weise. Indem sie weinen.6

Das bringt uns zurück zu John Bowlby und seine bahnbrechenden Erkenntnisse aus den 1950er Jahren, die das Gerüst des empirisch am besten validierten Zweiges der modernen Psychologie bilden, der Bindungstheorie. Bei einer unerträglichen Trennung startet ein Kind ein Bindungsverhalten wie Weinen oder Rufen. Dieses Bindungsverhalten hat nur EINEN einfachen Grund – Eltern oder Bezugspersonen zum Baby zu bringen. Nähe, Kontakt und Komfort sind für ein Neugeborenes gleichbedeutend.7

Dieses Bindungsverhalten des Weinens/Sichbemerkbarmachens als Antwort auf eine Trennung gibt es so gut wie bei allen Säugetieren – einschließlich des Menschen. Es zeigt – im Baby – eine grundlegende biologische Erwartung der Nähe zur Betreuungsperson. Und aus gutem Grund: Trennung bedeutet Stress für zahlreiche verhaltensorientierte und biologische Systeme des Babys und bedingt adaptive Veränderungen beim Versuch der Kompensation. Viele dieser adaptiven Veränderungen können lange andauern (abhängig vom genetischen Profil des Kindes), was wirklich beunruhigend ist. Es handelt sich häufig nicht nur um vorübergehende Symptome.8,9

Ergobaby Expertentipp 2

Die wichtige Frage, auf die die Wissenschaft im Augenblick noch keine endgültigen Antworten gefunden hat, ist, wie viel Kontakt täglich und für welchen Zeitraum im Leben des Babys für ein optimales Ergebnis nötig ist. Und diese Frage hat natürlich Einfluss auf die Art der Betreuung, die wir als Eltern unseren Kindern anbieten wollen. Bis jetzt gibt es nur einen Hinweis aus einer Studie über die Auswirkungen des Eltern-Kind-Tragens auf die sozio-emotionale Entwicklung des Neugeborenen. Es scheint eine starke Verbindung zwischen der Dauer des Tragens und dem Wohlbefinden des Kindes zu geben – mit anderen Worten, mehr ist besser.5

In Jean Liedloffs wegweisendem Buch Auf der Suche nach dem verlorenen Glück beschreibt sie ihre einzigartigen Beobachtungen der Kinderbetreuung durch die Amazonas-Indianer und wie ihre Art der Betreuung zu ungewöhnlich würdigen, bodenständigen und netten Kindern aber auch Erwachsenen führt.10

Die moderne Verhaltenspsychologie erklärt, dass Babys in den ersten 4-5 Monaten lieber Gesichter als Gegenstände ansehen. Wenn das Baby krabbeln lernt, gibt es eine deutliche Verlagerung des Interesses hin zu Gegenständen und der Erkundung der großen, weiten Welt.11 Die Amazonas-Indianer begleiten diese Phasen, indem sie durch das Halten der Kinder tagsüber und in der Nacht mehr oder weniger konstanten Kontakt ermöglichen, solange, bis die Babys selbst klar deutlich machen, dass sie die Welt erkunden und vom Betreuer unabhängig sein wollen.

Dieser Beginn der Erkundung der Welt durch das Baby führt bei den Amazonas-Indianern aber keineswegs zu einem abrupten Ende des Eltern-Kind-Kontakts. Die Kinder kommen häufig zurück, um mit von ihnen ausgehenden Umarmungen den „Kontaktspeicher“ wieder aufzufüllen. Wenn sie beunruhigt sind, unterbrechen sie ihre Erkundung für kurze Zeit und verlangen gehalten oder getragen zu werden, bis das, was sie aufgebracht hat, vorübergegangen ist.

Wenn Ihnen der Gedanke, Ihr Baby mehrere Stunden am Tag herumzuschleppen, erschreckend erscheint, ist es das Beste, wenn Sie in eine hochwertige Babytrage investieren, die sowohl für Sie als auch für Ihr Baby bequem ist. Es gibt viele Möglichkeiten, die richtige(n) Babytrage(n) für Ihren Alltag als Eltern zu finden – bitte beachten Sie die Beispiele in der untenstehenden Liste der Websitereferenzen.13,14 Intensiver Kontakt ist nicht nur gut für Ihr Baby, es wirkt sich auch positiv auf die Eltern aus, da unser Gehirn und unser Körper auf die Stimulierung durch unser Baby reagieren.15,16,17

Während die meisten Babys, die engen Kontakt mit ihren Eltern oder Betreuern haben, weniger weinen, gibt es Kinder, denen selbst der umfassende Kontakt mit einer engen Bezugsperson kein Gefühl des Komforts zu vermitteln scheint. In diesen Fällen sollten Sie Ihren Kinderarzt um Rat fragen.

Bibliographie:

1. St James-Roberts I. Infant crying and sleeping: helping parents to prevent and manage problems („Schreien und Schlafen bei Neugeborenen: Unterstützung der Eltern bei der Vorbeugung und Lösung von Problemen“). Prim Care. 2008;35(3):547-567, viii. doi:10.1016/j.pop.2008.06.004.

2. Blum D. Die Entdeckung der Mutterliebe. Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow. Beltz Verlag, Weinheim 2010.

3. Pryce CR, Aubert Y, Maier C, Pearce PC, Fuchs E. The developmental impact of prenatal stress, prenatal dexamethasone and postnatal social stress on physiology, behaviour and neuroanatomy of primate offspring: studies in rhesus macaque and common marmoset („Die Auswirkungen von pränatalem Stress, pränatalem Dexamethason und postnatalem sozialem Stress auf die Physiologie, das Verhalten und die Neuroanatomie von Primatenjungen: Studien an Rhesus- und Weißbüschelaffen“). Psychopharmacology (Berl). 2011;214(1):33-53. doi:10.1007/s00213-010-1989-2.

4. Morgan BE, Horn AR, Bergman NJ. Should neonates sleep alone? („Sollten Neugeborene alleine schlafen?“) Biol Psychiatry. 2011;70(9):817-825. doi:10.1016/j.biopsych.2011.06.018.

5. Anisfeld E, Casper V, Nozyce M, Cunningham N. Does infant carrying promote attachment? An experimental study of the effects of increased physical contact on the development of attachment („Führt Babytragen zu besserer Bindung? Eine experimentelle Studie der Auswirkungen von verstärktem Körperkontakt auf die Bindungsentwicklung“). Child Dev. 1990;61(5):1617-1627.

6. Hunziker UA, Barr RG. Increased carrying reduces infant crying: a randomized controlled trial („Vermehrtes Tragen reduziert das Babyschreien: eine randomisierte, kontrollierte Studie“). Pediatrics. 1986;77(5):641-648.

7. Bowlby J. Bindung – Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung. Kindler Verlag, 1982.

8. Myers MM, Grieve PG, Stark RI, et al. Family Nurture Intervention in preterm infants alters frontal cortical functional connectivity assessed by EEG coherence („Familienintegrierende Betreuung bei Frühgeborenen verändert die frontale kortikale funktionelle Konnektivität gemessen durch EEG-Kohärenz“). Acta Paediatr Oslo Nor 1992. 2015;104(7):670-677. doi:10.1111/apa.13007.

9. Feldman R, Rosenthal Z, Eidelman AI. Maternal-preterm skin-to-skin contact enhances child physiologic organization and cognitive control across the first 10 years of life („Hautkontakt zwischen Mutter und Frühgeborenen verstärkt die physiologische Organisation des Kindes und die kognitive Kontrolle während der ersten 10 Lebensjahre“). Biol Psychiatry. 2014;75(1):56-64. doi:10.1016/j.biopsych.2013.08.012.

10. Liedloff J. Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit. Dt. Fassung von Eva Schlottmann und Rainer Taëni. C.H. Beck, München 1980.

11. Murray L. The Psychology of Babies: How Relationships Support Development from Birth to Two („Die Psychologie von Babys: Wie Beziehungen die Entwicklung zwischen der Geburt und zwei Jahren unterstützen“). Robinson; 2014.

12. Who’s in Control? („Wer übernimmt die Führung?“) – von Jean Liedloff. http://www.continuum-concept.org/reading/whosInControl.html. Zugegriffen am 1. Juli 2016.

13. Choosing a Baby Carrier („Wie wählt man eine Babytrage?“) | Babywearing International. http://babywearinginternational.org/what-is-babywearing/choosing-a-baby-carrier/. Zugegriffen am 1. Juli 2016.

14. Find a Consultant („Finden Sie einen Berater“) – für Deustchland: http://www.tragenetzwerk.de/index.php/beraterinnenliste  - für Österreich: http://www.babytragen.net/trageberaterinnen/liste/

15. Cong X, Ludington-Hoe SM, Hussain N, et al. Parental oxytocin responses during skin-to-skin contact in pre-term infants („Elterliche Oxytocinantwort auf Hautkontakt mit Frühgeborenen“). Early Hum Dev. 2015;91(7):401-406. doi:10.1016/j.earlhumdev.2015.04.012.

16. Moberg KU. Oxytocin: The Biological Guide to Motherhood („Oxytocin: Biologischer Führer zur Mutterschaft“). Plano, TX: Hale Publishing; 2015.

17. Abraham E, Hendler T, Shapira-Lichter I, Kanat-Maymon Y, Zagoory-Sharon O, Feldman R. Father’s brain is sensitive to childcare experiences („Das Gehirn des Vaters reagiert auf Kinderbetreuungserfahrungen“). Proc Natl Acad Sci U S A. 2014;111(27):9792-9797. doi:10.1073/pnas.1402569111.