Es ist ein trauriges, aber wichtiges Thema, das
jeder/m, die/der regelmäßig mit Säuglingen zu tun hat, begegnen kann: der Plötzliche
Kindstod. Vor allem aber ist die Aufklärung über dieses Phänomen, das das Leben
einer jungen Familie von heute auf morgen dramatisch verändern kann, so
unglaublich wichtig. Denn zum einen kann dies Eltern unnötige Ängste nehmen und
zum anderen die Gefahr eines Plötzlichen Kindstodes verringern. Da das
unerwartete und nicht erklärbare Versterben eines Säuglings oder Kleinkindes
zumeist in der Schlafenszeit des Babys auftritt (1), betrifft dieses
Thema auch Trageberater*innen in ihrem beruflichen Alltag. Deshalb möchten wir
heute ein paar Infos und Hinweise dazu geben, was der Plötzliche Kindstod
eigentlich ist und was eine Hebamme oder Trageberater*in ihren Familien
diesbezüglich mit auf den Weg geben sollte.
Wie bereits angesprochen, tritt der Plötzliche
Kindstod unerwartet ein und ist in erster Linie nicht zu erklären. Er wird dann
diagnostiziert, wenn sämtliche natürliche und nicht-natürliche Todesursachen, wie
z.B. Infektionen, Stoffwechselstörungen, Blutungen (z.B. durch Schütteltrauma),
Fehlbildungen und Unfälle ausgeschlossen werden und die klinische Vorgeschichte
keine Hinweise für eine andere Ursache liefert. Im Englischen spricht man von
SIDS, Sudden Infant Death Syndrome. Dieser Begriff ist eng mit der Abkürzung ALTE,
also Apparent Life-Threatening Event (deutsch: akutes
lebensbedrohliches Ereignis), verknüpft, der für primäre Schlafapnoe im
Säuglingsalter steht. (1) Der Säugling oder
das Kleinkind hat also plötzliche Atemaussetzer.
Glücklicherweise ist die Säuglingssterblichkeit am Plötzlichen Kindstod in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Am häufigsten tritt sie im 1. Lebensjahr auf, in 2-6 % der Todesfälle waren die Säuglinge allerdings bereits im 2. Lebensjahr (1). In Deutschland ist diese Todesart mittlerweile nur noch die dritthäufigste im Kindesalter jenseits der Neugeborenenperiode. Sie tritt eher im Winter und bei 80% aller Fälle zwischen 0 und 6 Uhr morgens ein. Es sind bisher mehr Jungs (60%) als Mädchen (40%) betroffen und 66% von ihnen sind in der Bauchlage gefunden worden (7% in der Seitenlage, 27% in Rückenlage). Außerdem stehen der 3.-5. und der 9. Lebensmonat im Fokus, da es in diesem Zeitraum zu einer erhöhten Vulnerabilität (Verletzbarkeit) durch gestörte Homöostase (Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen) in kritischen Entwicklungsphasen kommen kann. (2)
Triple Risk
All diese gesammelten Daten und Erkenntnisse machen deutlich: die genauen Ursachen für den Plötzlichen Kindstod sind nicht bekannt. Das, was man liest und hört, sind lediglich Hypothesen durch gesammelte Erfahrungen, Obduktionen und Auswertungen. Deshalb geht die Wissenschaft heute nicht von der einen Ursache aus. Nein, Forscher definieren weltweit Risikogruppen und -faktoren und sprechen dann von einem multifaktoriellen Geschehen. Es müssen nach heutigem Wissensstand also eher mehrere Faktoren zusammentreffen, damit es zu einem Plötzliche Kindstod kommt: von außen einwirkende Faktoren, eine kritische Phase in der Entwicklung und ein anfälliges Baby.
Gesamtübersicht möglicher Risikofaktoren
Folgende Faktoren können nach heutigem Kenntnisstand einen Plötzlichen Kindstod begünstigen und sollten von Eltern vermieden, beachtet und im Fokus gehalten werden:
- Frühgeborene (bis zur vollendeten 37. SSW)
sind häufiger gefährdet als eutrophe (normalgewichtige) Neugeborene (zwischen
der 10. und 90. Perzentile) (2) - Niedriges Geburtsgewicht
- Zwillinge/Mehrlinge
- Keine oder unzureichende
Schwangerschaftsvorsorge - Rauchende Eltern (besonders auch im
elterlichen Bett) (2) bzw.
Eltern, die Drogen nehmen und Alkohol trinken (auch in der Schwangerschaft) - Alleinerziehende Eltern
- Kritische Schlafumgebung (z.B. zu weiche,
nicht atmungsaktive Matratze bzw. ein luftundurchlässiger Matratzenschoner,
Decken, Kissen, große Kuscheltiere, die das Gesicht bedecken können,
Bettnestchen) (2) - Schlafen im elterlichen Bett/Bedsharing/Co-Sleeping
(fraglich) - Schlafen im Kinderzimmer
- Zu warme Raumtemperatur (mehr als 18 Grad)
bzw. Überwärmung - Schlafen in Bauchlage: gestörter Blutfluss
zum Hirnstamm durch seitliches Drehen des Kopfes in Bauchlage (2) - Nicht Stillen bzw. frühes Abstillen: Stillen
senkt das Risiko um 50% - durch den Immunschutz sowie die Tatsache, dass
gestillte Kinder nicht so tief schlafen und so gefährliche Atemaussetzer
ausbleiben (2) - Bereits an SIDS verstorbene Geschwisterkinder
(2) - Alter der Eltern (jünger als 20 und älter als
38) (2) - Niedriger Bildungsstand der Eltern (2)
- Kulturelle Unterschiede in der Betreuung und
im Umgang mit dem Baby (2) - Körperliche Ursachen (2) wie
- Störung der Serotoninhomöostase möglich, mit
der Folge von Hypothermie (Untertemperatur) und Bradykardie (Abfall der
Herzfrequenz), gestörte Weckreaktion
- Autonome Regulationsstörungen in den
kardiorespiratorischen Regelkreisen (Hypoxie-Sauerstoffunterversorgung)
- Störung der Serotoninhomöostase möglich, mit
- Botulismus-Theorie: atemlähmende Wirkung
durch Clostridium botulinum (z.B. durch Honig) – Keinen Honig für Kinder unter einem
Jahr! (2) - Unreife des Atemantriebs und schwere
Erweckbarkeit (2) - Enteroviren mit der Folge von Myocarditis
(Herzmuskelentzündung) und Herzrhythmusstörungen (2) - Infekt der oberen Luftwege (2)
- Fehlbildungen (2)
- Toxische Gase/Ausdünstungen aus Materialien
und Stoffen
Plötzlicher Kindstod in der Tragehilfe
Es gibt also viele verschiedene Faktoren, die in einer ungünstigen Konstellation zum Plötzlichen Kindstod führen können. Da Babys nicht nur in ihren Bettchen oder Kinderwagen, sondern auch in Tragen und Tragetüchern schlafen, drängt sich also die Frage auf: Kann ein Baby auch in einer Tragehilfe versterben? Sabine Hartz, Kinaesthetics-Trainerin und ehemalige Leiterin der Kinderkrankenpflegeschule am Altonaer Krankenhaus, hat eine klare Antwort darauf: Kinder können überall plötzlich versterben. In der Babytrage oder in einem Tragetuch sei dies in der Tat besonders tragisch und nicht nachvollziehbar, weil doch die Eltern gar nicht näher am Kind hätten sein können. Betroffene stellten sich daher immer wieder die Frage: „Warum habe ich das nicht gemerkt?“ oder „Habe ich etwas falsch gemacht?“. (2)
Was können Hebammen und Trageberater*innen also tun?
Als beratende Fachpersonen könnt ihr dieses Ereignis nicht verhindern, sondern nur „gut“ beraten (2): Macht die Eltern sicher im Umgang mit dem Thema Tragen und mit der Tragehilfe und klärt sie über Risikofaktoren (z.B. Zusammensacken des kindlichen Rückens, Kinn auf der Brust, CO2-Rückatmung) in der Trageberatung auf:
- Das Thema
nicht bagatellisieren, aber auch nicht dramatisieren (2) - Eine
kompetente Trageberatung durchführen, auf alle Risikofaktoren im falschen
Umgang mit der Tragehilfe hinweisen und sich von den Eltern praktisch zeigen
lassen, dass sie den Umgang verstanden haben und die Risikofaktoren kennen - Infomaterial,
z.B. „Die optimale Schlafumgebung für Ihr Baby“
und Checkliste
„Sichere Schlafumgebung für Ihr Baby“, verteilen
- Zeigen, wie die Eltern die Rückenlage zum
Schlafen unterstützen können, damit das Kind an den Extremitäten Gewicht
abgeben kann (2) (Ergonomie/Anhock-Spreiz-Haltung
erklären) - Erklären wie eine sichere Schlafumgebung
aussieht und unbedingt zur Benutzung eines passenden Schlafsackes raten - Handling
zeigen (2) - Ermutigen, trotzdem die Bauchlage in
Wachphasen zu üben (2) - Auf
ausreichende Hebammenbetreuung achten und Trageberatung anbieten bzw. darüber in
Kursen und auf Infoabenden aufklären - Bei
Auffälligkeiten bzw. Risikofaktoren die Eltern mit dem Kind zum Arzt schicken
und die besprochene Trageweise VORHER absegnen lassen
Niemand
möchte, dass dieses Ereignis jemals eintritt. Aber sollte es trotz aller Bemühungen
dazu kommen, dass ein Baby nach der Trageberatung in der Tragehilfe am
plötzlichen Kindstod verstirbt, rät Sabine Hartz zu folgendem (2):
- Bewahrt Ruhe
- Zeigt Mitgefühl
und seid zum Gespräch bereit - Übernehmt
nur für eure Beratung die Verantwortung - Fragt
nach, ob die Eltern gut versorgt/unterstützt sind und bietet bei Bedarf Hilfe
durch Fachpersonen an (Trauerbegleitung, psychologische Beratung) - Nehmt selbst
Hilfe in Anspruch (Supervision), wenn ihr merkt, dass ihr mit der Situation
nicht klarkommt - Tauscht
euch mit Kolleg*innen aus und sprecht darüber
Quellen:
(1): Wikipedia- Plötzlicher Kindstod
(2): Sabine Hartz: Wie wir handlungsfähig bleiben: SIDS in der Trageberatung- komplett nachzulesen im Tagungsband der Dresdner TrageTage 26.-28. Mai 2016 (im Blogbeitrag nur auszugsweise)