Es ist wieder Zeit für Chefexpertise. Denn, wie bereist angekündigt, wird sich an dieser Stelle viermal im Jahr unser Chefwissenschaftler Dr. Henrik Norholt aus Kopenhagen zu Wort melden. Er ist Mitglied der „World Association of Infant Mental Health“ und studiert seit 2001 die Effekte des Babytragens und deren Einfluss auf die Psyche und motorische Entwicklung des Kindes.
In seinem letzten Beitrag ging es darum, warum ein Baby in bestimmten Momenten schreit und wie man es beruhigen kann. Heute widmet er sich den Vätern und deren Beziehung zu ihrem Nachwuchs. Denn, so viel sei vorweg genommen, die ist wichtiger denn je – für beide Seiten.
Die Beziehungen von Vätern zu ihren Kindern und wie wir sie verbessern können
Wir alle haben Erfahrungen mit und daher auch Meinungen über Väter. Für einige war diese Erfahrung aus einer Vielzahl von Gründen heraus die, dass er selten oder nie anwesend war. Aber auch die Abwesenheit eines Vaters oder einer männlichen Bezugsperson hat unsere Persönlichkeit vermutlich mit geprägt.
Unsere eigenen Erfahrungen mit und auch Meinungen über unsere Vaterfigur sind natürlich die wichtigsten. Aber Untersuchungen darüber, wie Väter im Allgemeinen Beziehungen zu ihren Kindern aufbauen, können uns dabei unterstützen, unsere eigene Geschichte besser zu verstehen und aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten. So gelingt uns vielleicht eine ausgewogenere und damit verständnisvollere und förderlichere Sicht unserer aktuellen Vaterbeziehung.
Im Augenblick ist die Bindungstheorie der Zweig der modernen Psychologie, der sich am längsten mit engen menschlichen Beziehungen befasst hat. Jahrzehntelange Studien über mehrere Kontinente hinweg informieren uns, dass rund die Hälfte von uns eine sichere Beziehung zu unseren nächsten Verwandten besitzt. Bei der anderen Hälfte ist diese Beziehung unsicher. Bei einigen führt diese Bindungsunsicherheit zu einem kalten und distanzierten emotionalen Verhältnis gegenüber unseren nächsten Angehörigen. Für andere führt das Fehlen einer ständigen warmen Geborgenheit während des Aufwachsens zu konstanten Sorgen und einer Zwiespältigkeit in Bezug auf die Glaubwürdigkeit unserer Beziehungen, schlechter Festlegung von Grenzen und übertriebener emotionaler Einmischung. Einige von uns sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem ein Elternteil mit einem nicht bewältigten Trauma zu kämpfen hatte, was seine oder ihre emotionale Präsenz und Fürsorge unvorhersehbar und wenig auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet machte. Das führt zu einer elementaren Verwirrung und mentalen Unordnung bei der Erwartung gegenüber engen Bezugspersonen und ist leider mit psychosozialen Problemen wie Depression, Angst, Aggression usw. verbunden.1
In der Vergangenheit ist die Frage, wie Väter ihre Beziehung zu ihren Kindern von der Zeugung an durch die frühe Kindheit aufbauen, in der Bindungsforschungsgemeinde auf relativ wenig Interesse gestoßen, auch wenn dieses in den letzten Jahren zugenommen hat. Eine sehr interessante Studie kommt aus Skandinavien.2 Es ist vielleicht keine Überraschung, dass diese Studie in Skandinavien durchgeführt wurde, wenn man die weitreichenden – und andauernden – gesellschaftlichen und familiären Veränderungen bedenkt, die in den 1970er Jahren dort stattgefunden haben. Insbesondere die Emanzipationsbewegung der Frauen in den 1970er Jahren sah es als eines ihrer primären Ziele an, ihre Männer aktiv in die emotionale Fürsorge für ihre Kinder einzubinden, und zwar über die gemeinsame Versorgung der Kinder hinaus. Väter als reine Versorger war bis dahin die akzeptierte gesellschaftliche Norm gewesen, so wie es in vielen Ländern der Welt immer noch der Fall ist.
Bei der Studie wurden dänische Väter während der Schwangerschaft, direkt und fünf Monate nach der Geburt befragt.
Was die Interviewer in diesen Gesprächen am meisten überraschte, war, wie engagiert und reflektiert die Väter im Allgemeinen die Veränderungen wahrnahmen, die sie und ihre Frauen/Partnerinnen in dieser Zeit durchliefen. Alten Stereotypen zufolge sind Mütter „relational“ und Väter „aktivitätsorientiert“. Als sie in diesen strukturierten Gesprächen Gelegenheit erhielten, ihre Gedanken über Vaterschaft, Elternsein usw. in Worte zu fassen, waren diese Väter kein bisschen weniger „relational“, als es Mütter sein würden. Und die meisten Väter freuten sich sehr über die Gelegenheit, strukturiert über ihre neue Rolle nachzudenken. Viele beklagten, dass es dazu in den normalen Gesprächen mit Freunden und Familie kaum Gelegenheit gäbe.
Bei rund der Hälfte der Väter stellte sich ein empathieorientiertes Modell der Babyfürsorge heraus. Dieses (optimale) Modell hatte sich aus den eigenen Erfahrungen der Väter mit der Fürsorge durch ihre Mütter entwickelt. Leider und traurigerweise beschrieben nur wenige Väter ihre eigenen Väter als Vorbild für die Empathie gegenüber ihrem Kind. Moderne Väter müssen ihre feiner abgestimmte Vaterrolle selbst erarbeiten und weiter entwickeln, möglicherweise als erste Generation in vielen Jahrhunderten. So können wir einen monumentalen und beeindruckenden Wandel in der Einstellung und dem Engagement moderner Väter miterleben.
In Übereinstimmung mit den allgemeinen Bindungsstudien zeigte die Studie außerdem, dass rund die Hälfte der Väter dieses empathieorientierte Modell der Babyfürsorge nicht besaß. Lassen Sie uns festhalten, dass diese Väter relativ gut für ihr Kind sorgen können, wenn es darum geht, die physischen Voraussetzungen für ein gutes Aufwachsen bereitzustellen – wie es seit Jahrtausenden von Vätern erwartet wird. Aber eine tatsächliche emotionale Bindung zu ihrem Kind, die sich in Empathie, Wärme, Verständnis oder ausdrücklicher Anerkennung ausdrückt, war nicht vorhanden. Lehnen Sie sich nun zurück, machen Sie eine Pause und lassen Sie das sacken: Die Hälfte der Väter hatte keine emotionale Bindung zur ihren Kindern!
Man könnte annehmen, dass durch die ganzen Änderungen in den gesellschaftlichen Normen – bei denen erwartet wird, dass Väter einen größeren Anteil an der Geburt und der Erziehung übernehmen – die mehr mit dem Kind verbrachte Zeit automatisch dazu führen würde, dass auch die emotionale Bindung zunimmt. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auf der einen Seite sehen wir Studien zu Abbildungen des Gehirns, in denen die Zeit, die Väter mit der Neugeborenenfürsorge verbringen, mit einer stärkeren Aktivierung spezifischer Gehirnbereiche für Elternfürsorge verbunden ist.3 Auf der anderen Seite zeigen Bindungsstudien im Verlauf der Zeit wenige Änderungen als Ergebnis der Vaterschaft.4
Vielleicht sollten wir bei unserem Versuch, die Schwierigkeiten vieler Väter, eine emotionale Bindung zu ihrem Neugeborenen aufzubauen, zu verbessern, mehr darauf achten, wie diese Zeit verbracht wird – was tut der Vater, wenn er mit seinem Kind zusammen ist. Eine neue Studie aus Taiwan hat die Auswirkungen von zwei Möglichkeiten des Beisammenseins mit einem Neugeborenen auf die emotionale Bindung zu diesem Neugeborenen erforscht. Während der ersten drei Tage wurden der ersten Gruppe Badetechniken mit ihrem Kind vermittelt. Die zweite Gruppe wurde darin unterwiesen und unterstützt, täglich Körperkontakt zu ihrem Kind aufzunehmen, wobei das Kind Brust-an-Brust mit dem Vater gehalten wurde. Die Väter mit dem Körperkontakt zeigten eine wesentlich stärkere Bindung zu ihrem Neugeborenen auf als die Badegruppe.5
Dieses Ergebnis stimmt mit einer weiteren Bindungsstudie überein, die über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr durchgeführt wurde. Hoch-Risiko-Mütter erhielten entweder einen Autositz oder eine weiche, strukturierte Babytrage (die auch einen Brust-zu-Brust-Kontakt) zulässt. Im Alter von einem Jahr wurde die Bindungsqualität der Neugeborenen gemessen und zeigte einen erheblich größeren Anteil der Kinder mit sicherer Bindung bei den getragenen Kindern.6 Heute verfügen wir über eine Reihe von Studien, die zeigen, dass intensiver Körperkontakt in den ersten Lebensmonaten weitreichende Folgen für die Entwicklung der Kinder ebenso wie für die Eltern-Kind-Beziehung hat.7–10
Interessanterweise wurden beiden Gruppen in der taiwanesischen Studie beim Eintreffen im Krankenhaus Informationsblätter ausgehändigt, die auf die Bedeutung des Körperkontakts mit Neugeborenen hinwiesen. Und durch ein sehr erfindungsreiches Studiendesign erhielten auch beide Gruppen die Möglichkeit zu diesem Körperkontakt. Aber nur die Gruppe, die von einer Krankenschwester aktiv bei der Herbeiführung des Körperkontakts unterstützt wurde, tat es auch. Diese Erkenntnis unterstreicht die Bedeutung des Krankenhauspersonals bei der aktiven Unterstützung des Körperkontakts mit den Vätern durch Vorführen und konkrete Erleichterung der Praxis.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Väter weit mehr mit ihrer neuen Vaterrolle zu beschäftigt zu sein scheinen, als wir dachten. Leider haben die meisten modernen Männer kein sehr gutes Vorbild in ihren eigenen Vätern. Unsere aktuelle Gesellschaft nimmt noch nicht ausreichend wahr, wie sehr Väter in die Fürsorge der Neugeborenen eingebunden werden wollen und müssen, und stellt zu oft zu wenige Möglichkeiten bereit, damit Väter mit den Neugeborenen zusammen sein können, wobei Körperkontakt und später Babytragen sicherlich zu den vielversprechendsten Ansätzen zählen. Lassen Sie uns die Generation dieses Wandels sein!
Bibliographie:
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