Tragetipp: Der kindliche Körper ist gemacht fürs Tragen, Teil 3 – die passende Tragehilfe

Unsere
Babys wollen getragen werden! Nicht nur aus emotionalen oder Bindungsgründen, nein, auch weil ihre
Körper dafür ausgelegt sind. Vor allem auch als Neugeborene. Warum das so ist,
haben wir euch in den ersten beiden Teilen unserer Mini-Tragetipp-Reihe bereits
verraten. Kleiner Reminder: Es ging um die natürliche Stellung der Hüfte und Beine, die es dem Nachwuchs ohne
Probleme ermöglicht, eine längere Zeit in der ergonomischen
Anhock-Spreiz-Haltung zu verweilen. Und um den Rücken, der fälschlicherweise oft
dogmatisch als „Rundrücken“ bezeichnet wird, sich aber eigentlich stetig in
seiner Form und Haltung verändert und weiterentwickelt.

Aus
diesen Erkenntnissen kann man nun auch ableiten, worauf es demnach beim Kauf
einer Tragehilfe ankommt. Welche Eigenschaften sollte sie
haben, welche Bereiche stützen und wo sollte sie flexibel und individuell
einstellbar sein? Auch hier hat unsere liebe Trageexpertin Katrin sich die Mühe gemacht, alle
Punkte für euch gesammelt aufzuschreiben, um euch bei der Wahl der richtigen
Tragehilfe etwas unter die Arme zu greifen. Vorab möchte sie aber noch einmal
aufzeigen, was wann mit dem kleinen menschlichen Körper so passiert. Ein kurzer
und durchaus spannender Überblick:

Die kindliche physische Entwicklung
Bisher haben wir also gelernt, dass die Aufrichtung der Wirbelsäule ein
fortlaufender Prozess in der kindlichen Entwicklung ist. Erst im Pubertätsalter
(!) ist dieser Prozess weitgehend abgeschlossen. Das kindliche Skelett, welches
vorwiegend knorpelige Strukturen aufweist, erhält seine typischen Eigenschaften
erst durch funktionelle Beanspruchung, weit über das Kindesalter hinaus (1).

Schauen wir uns die Entwicklung des Babys (nach Birgit Kienzle-Müller) mit Fokus auf die
Wirbelsäule einmal im Schnelldurchlauf an (3):

  • Neugeboren: die untere Brustwirbelsäule
    und das Becken bilden eine Einheit, isolierte Bewegung des Beckens nicht
    möglich, der Rumpf folgt der Kopfbewegung, die Lage ist asymmetrisch, Nahsehen
    von 25 cm, aktive Drehung des Kopfs nur bis zu 45 Grad möglich
  • 6. Woche, erstes soziales Lächeln: der Kopf
    dreht von der Seite zur Mitte, längeres Fixieren mit den Augen, die Aufrichtung
    des Rumpfes beginnt im Gesicht
  • 8. Woche, beginnende Kopfkontrolle: die
    Halswirbelsäule ist aufgerichtet, die Drehung des Kopfes ist noch nicht vollständig
    möglich, Beginn des Weitsehens
  • 3. Monat, symmetrischer Ellenbogenstütz: erste
    Ebene der Aufrichtung
    , der Unterarmstütz ist erreicht, Schulterblatt- und
    Bauchmuskulatur sind aktiviert, vollständige Drehung der Halswirbelsäule
    möglich, Hände sind vollständig geöffnet, die Brustwirbelsäule ist entfaltet,
    die optimale Entwicklung ist gestartet
  • 4. Monat, Einzelellenbogenstütz: erste
    Drehung des Schultergürtels, erste Drehung im Rumpf, dreht sich vom Rücken auf
    die Seite, kann in Rückenlage ein Spielzeug greifen, ein Greifen über die Mitte
    noch nicht möglich, dreidimensionales Sehen
  • 5. Monat, über die Mitte greifen: die untere
    Brustwirbelsäule ist gestreckt, die Beine können in der Rückenlage gestreckt
    von der Unterlage abgehoben werden, das Greifen aus und über die Mitte ist
    möglich, Tragen mit Blick nach vorne ist möglich
  • 6. Monat, Handstütz: zweite
    Ebene der Aufrichtung
    , Hüftstreckung in Bauchlage, ein Spielzeug aus der
    Luft kann gegriffen werden, Aufrichtung in den Vierfüßlerstand, Drehung vom
    Rücken auf den Bauch
  • 7. Monat, Robben: erste
    Vorwärtsbewegungen, Drehbewegung der Wirbel, freie Kopfgelenke
  • 8.-10. Monat, schräger Sitz: Drehung,
    Beugung, Streckung und Seitbeugung der Wirbelsäule möglich
  • 8.-10. Monat, Krabbeln: dritte
    Ebene der Aufrichtung
    , dynamische Rumpfbeweglichkeit, Rumpfmuskulatur ist
    vollständig aktiviert
  • 8.-10. Monat, Halbkniestand: vierte
    Ebene der Aufrichtung
    , Stützfunktion der Beine beginnt, Greifreflex der
    Füße noch vorhanden
  • 11. Monat, Stand: fünfte
    Ebene der Aufrichtung
    , Beckenkämme sind noch nach vorne gekippt, die drei
    Wirbelsäulenschwingungen bilden sich aus, Stöße beim Gehen werden schon
    abgefedert
  • 13,5 Monate, freies Gehen:
    Watschelgang durch Beugestellung zwischen Hüftgelenk und Becken, fehlende
    Beckendrehung, kein Fußabrollen, fehlende gegenläufige Bewegung zwischen
    Schulter- und Beckengürtel, freie Kopfgelenke
  • 3 Jahre insgesamt bis zur Entfaltung der
    Wirbelsäule in die Aufrichtung
  • 8 Jahre für
    die Fußentwicklung
  • 16 Jahre für
    das Längenwachstum der Wirbelsäule
  • 21 Jahre für
    das Kopfwachstum
  • 24 Jahre für
    das Beckenwachstum

Konsequenzen
für die Wahl der Tragehilfe

All das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Wahl der passenden Tragehilfe.
Auf folgendes solltet ihr also letztendlich achten, wenn ihr euch für ein
Modell entscheidet bzw. findet ihr durch diese Aufstellung heraus, welche
Haltung für euren kleinen Schatz nun ergonomisch am gesündesten ist:

  1. Haltung des Rückens: Der Rücken, nicht die Wirbelsäule, bildet ein gestrecktes, abgeflachtes, ungleichmäßiges C, dessen Enden ein bisschen aufgebogen sind (1). Die Wirbelsäule ist anfangs asymmetrisch zur Gesichtsseite geneigt und lässt sich in der Tragehilfe nicht symmetrisch ausrichten (3).
    Die Wirbelsäule sollte also in jeder Tragehilfe ausreichend, dem Entwicklungsstand entsprechend, gestützt werden, so dass das Baby nicht in sich zusammensackt und sich die Wirbelsäule nicht inadäquat rundet (1). Letzteres kann sogar die Atmung blockieren! Zudem sollte darauf geachtet werden, dass das Baby nicht durch Druck von außen in eine Haltung gezwängt wird, z.B. durch Druck auf die kindlichen Schultern durch ein zu festgezogenes Tragetuch. Auch eine erzwungene gestreckte Haltung ist kontraproduktiv.
    Deshalb lautet unser Hinweis:
    Adäquat Stützen in der altersentsprechenden natürlichen Haltung!
  2. Rumpf und Becken bilden in den ersten zwölf Monaten eine Einheit, eine Verdrehung des Beckens gegen den Brustkorb ist nicht möglich (3). Somit sollte die Tragehilfe ermöglichen, dass der Rumpf eine Einheit bilden kann (3).
  3. Haltung des Kopfes: In den ersten Wochen kann der Kopf nur bis auf ca. 45 Grad gedreht werden. Diese Drehung geschieht immer mit nach hinten geneigtem Kopf (3). In der Tragehilfe solltet ihr daher darauf achten, dass der Kopf in den ersten Wochen seitlich nicht komplett flächig abgelegt werden kann. Achtet auf ausreichend Kopfstütze – bis zur Mitte der Ohren – und stützt euer Baby stets altersentsprechend. Der Kopf sollte weder nach hinten noch nach vorne fallen und das Kinn die Brust nicht berühren können. Auch dies blockiert die Atmung. Vermeidet zudem punktuellen Druck durch Tuchkanten oder härtere Außenkanten der Kopfstütze. Druck erzeugt immer Gegendruck (3). Fixiert niemals den Kopf des Babys und bedeckt ihn auch nicht vollständig. Das Gesicht sollte immer sichtbar sein und die Atemwege frei bleiben.
  4. Haltung der Arme: Die Arme sollten zur besseren Haltungsbewahrung und Atmungserleichterung nach oben Richtung Gesicht zeigen (3). Später können die Handflächen auf dem elterlichen Körper abgelegt werden und druckregulierend wirken. Das bedeutet, dass ihr nur Tragehilfen verwenden solltet, in denen die Hände vor der Körpermitte zusammengeführt werden können. Das Baby soll die Hände zum Mund bringen können. Bei Neugeborenen sind Arme und Hände angewinkelt in der Tragehilfe zu platzieren und sollten nicht unter den Gurten klemmen. Achtet bitte auf eine ausreichende Durchblutung!
  5. Haltung der Beine/des Beckens: Die Oberschenkel befinden sich in der Anhock-Spreizhaltung (M-Position), gut angehockt und leicht abgespreizt und sollten bis kurz vor die Kniekehlen gestützt werden. Mit zunehmendem Alter, oft schon ab sechs Monaten, verringert sich die Anhockung (2). Die Knie zeigen leicht nach außen. Eine Drehung der Hüftgelenke nach innen sollte unbedingt vermieden werden.
    Für die Wahl einer Tragehilfe bedeutet das, dass nur Tragen mit ausreichend breitem Steg (Material zwischen den Beinen des Kindes) verwendet werden, die über einen entsprechend tiefen Pobeutel verfügen. So kann das Baby in eine gute Anhockung kommen. Passt dabei auf, dass Knie und Unterschenkel genügend Platz haben und nicht z.B. durch Knoten, Nähte, Gurte oder dicke Tuchstränge in unergonomische Positionen gedrückt werden und die Blutzufuhr behindert wird.
  6. Haltung der Füße: Sie sind im rechtenWinkel im Sprunggelenk hochgezogen, die Fußsohlen zeigen leicht
    zur Mutter und berühren dort evtl. den Hüftgurt. Im Sommer bzw. bei warmen
    Temperaturen könnt ihr die nackten Füße des Kindes berühren und so eine
    zusätzliche Verbindung aufbauen. Dies aktiviert den Kreislauf und fördert die
    Aufrichtung (3).

Generell gilt: Tragen sollte insgesamt abwechslungsreich sein. Bietet eurem Kind also gerne verschiedene ergonomische Tragepositionen an. Gerne auch unterschiedliche Tragehilfen – dem Alter, den Bedürfnissen und dem Entwicklungsstand entsprechend. Mit Rat und Tat zur Seite stehen euch außerdem ausgebildete Trageberaterinnen der verschiedenen Trageschulen (z.B. Trageschule Dresden, Trageschule Hamburg, Fortbildungszentrum Babytragen, Trageschule NRW).

Quellen:

  • (1) Dr. E. Kirkilionis, Haltung bewahren, Hebammenforum 5/2014

  • (2) Dr. E. Kirkilionis, Die Grundbedürfnisse des Säuglings und deren medizinische Aspekte- dargestellt und charakterisiert am Jungentypus Tragling Teil 1 und 2

  • (3) Birgit Kienzle-Müller, Entwicklung und Entfaltung des kindlichen Rückens – Bedeutung für das Kind in der Trageberatung, Tagungsband Dresdner TrageTage 26.-28.05.2016
    Birgit Kienzle-Müller, Meilensteine der Entwicklung