Ähm, Moment mal – wie jetzt, viertes Trimester? Hat die Schwangerschaft nicht nur drei? Jahaaaa… das sorgt jetzt natürlich bei den meisten erstmal für Verwirrung. Aber es stimmt: Die Schwangerschaft wird in drei Trimestern beschrieben, die Zeit von der Geburt eures Babys bis zu seinem dritten Lebensmonat bezeichnet dagegen das vierte Trimester. Die britische Sozialanthropologin Sheila Kitzinger hat ihn bereits in den 70er erstmals verwendet. Menschliche Babys sind nämlich – im Vergleich zu Tierkindern – eigentlich sogenannte „physiologische Frühgeburten“, wie der Schweizer Zoologe und Anthropologe Adolf Portmann sagt. Euch ist sicher schon einmal aufgefallen, dass viele Babys aus der Tierwelt deutlich selbstständiger auf die Welt kommen als unser Nachwuchs. Bei uns Menschen aber hat die Natur im Zuge der Evolution es etwas anders eingerichtet, damit das neue Familienmitglied spontan und auf natürlichem Wege gut durch das mütterliche Becken passt. Da sich über die Jahrtausende durch den aufrechten Gang nicht nur unser Becken verändert hat, sondern durch die steigende Hirnleistung die Kopfgröße der Babys gewachsen ist, werden sie genauer betrachtet zu früh auf die Welt gebracht, damit der Kopf nicht stecken bleibt. Mit dem Effekt, dass Menschenkinder direkt nach der Geburt auf permanente Hilfe angewiesen sind. Man kann es auch so formulieren: Das Neugeborene muss am Körper seiner Eltern, also außerhalb der Gebärmutter, nachreifen. Was nun Aufgabe der Eltern ist und wie diese dadurch auch das Schlafverhalten ihres Kindes positiv beeinflussen können, zeigt euch unsere Trage- und Schlafexpertin Katrin Ritter in diesem und nächsten Teil unserer Expertentipp-Reihe zum Babyschlaf.
Gerade die ersten drei Monate sind also für frisch gebackene Eltern eine große Herausforderung. Zum einen ist da ein komplett neues Familienmitglied, das ihr erstmal kennenlernen müsst – zum anderen stehen neben den psycho-emotionalen Aspekten auch physiologische Anpassungsprozesse im Vordergrund. Für das Baby ist schließlich alles neu: Es muss plötzlich Nahrung aufnehmen, erstmals eine richtige Verdauung in Gang bringen, plötzlich gibt es einen Tag- und Nachtrhythmus und es erfährt ungewohnte Sachen wie die Schwerkraft oder Temperaturschwankungen. Der Säugling muss also lernen, Erregung und Beruhigung in Balance zu bringen und auch die Körpertemperatur selbst zu halten. Zudem muss es ab Geburt den Energiehaushalt eigenständig steuern. Dies sind große Aufgaben und dabei ist euer Baby auf eure Hilfe angewiesen.
Wie euer Baby lernt, Bedürfnisse wahrzunehmen – und wie ihr ihm dabei helfen könnt
Jedes Kind ist anders und bringt ein spezielles Temperament mit. Und mit jedem Baby müssen Eltern neu entdecken, wann welche Bedürfnisse anstehen. Das ist gar nicht so leicht. Denn auch Eltern haben ihre eigene Geschichte, Erwartungen und Vorstellungen und all dies läuft in die tägliche Versorgung mit rein. Fakt ist: Als Eltern habt ihr biologisch angelegte, intuitive elterliche Kompetenzen. Damit diese aber zum Tragen kommen können, müsst ihr bereit und in der Lage sein, euch mit ungeteilter Aufmerksamkeit auf euer Baby einzulassen, euch gefühlsbetont von seinen Signalen leiten zu lassen. Euer Baby muss lernen, welche Bedürfnisse (z. B. Schlaf, Essen, Nähe) es hat, wie es sie einordnen und angemessen darauf reagieren kann. Wie lautet die passende Antwort auf das jeweilige Gefühl? Und da kommt ihr ins Spiel. Ziel ist es, die Signale eures Babys wahrzunehmen, richtig zu interpretieren, und entwicklungs- und situationsangemessen sowie prompt zu reagieren. Also bei Müdigkeit die Möglichkeit für Schlaf zu bieten, bei Hunger zu füttern, bei dem Bedürfnis nach Nähe zu kuscheln. Je feinfühliger ihr bei dieser Aufgabe seid, desto mehr emotionale Sicherheit bekommt euer Baby. Es kann seine Bedürfnisse einfacher zuordnen und verstehen. Das bezeichnet man als Co-Regulation. Da die kindliche Entwicklung ein kontinuierlicher Prozess ist und in Reifungsschüben und Meilensteinen verläuft, lernt euer Baby mit zunehmenden Erfahrungen immer mehr Fähigkeiten zur Selbstregulation. Mit dem Ziel: immer unabhängiger von seinen Eltern zu werden und sich selbst zu helfen wissen.
Gerade um den dritten Monat herum passiert in der kindlichen Entwicklung sehr viel. Euer Baby entwickelt seine Kommunikationsfähigkeiten weiter, beginnt zu lächeln und geht mit euch in Interaktion. Seine Signale werden immer deutlicher und ihr habt es immer leichter, seine Bedürfnisse zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Ein Grund dafür ist auch, dass nach den ersten drei Monaten oft vermeintliche Verdauungsprobleme und übermäßiges Schreien aufhören. Ihr könnt also viel besser differenzieren, was euer Baby braucht. Darum stresst euch nicht. Gebt euch also diese ersten drei Monate ganz bewusst, um euch gegenseitig kennenzulernen und miteinander in eurer neuen kleinen Welt anzukommen. Je schneller, adäquater und prompter ihr die Signale eures Babys richtig einschätzt und beantwortet, desto weniger Stress haben alle Beteiligten, auch beim Schlafen.
Was euch in den ersten 3 Monaten und darüber hinaus hilft:
- Vertraut auf euer Bauchgefühl. Ja, es gibt unzählige Bücher und Techniken rund ums Kind. Aber nichts davon ist wertvoller als euer mütterlicher (oder väterlicher) Instinkt.
- Versucht die kindlichen Bedürfnisse wahrzunehmen und diese feinfühlig und prompt zu beantworten. Ihr könnt euer Baby nicht verwöhnen.
- Nehmt auch eure eigenen Bedürfnisse wahr und sorgt für euch selbst. Ausgeglichene Kinder brauchen ausgeglichene Eltern.
- Traut eurem Baby wachsende selbstregulative Fähigkeiten zu (die Co-Regulation immer mehr zurücknehmen).
- Strebt nicht nach Perfektion. „Gute“ Eltern zu sein, reicht.
- Feiert kleine Erfolge und erfreut euch daran!
Eure wichtige Aufgabe und intuitive Kompetenz hinsichtlich eures neuen Familienmitgliedes kennt ihr nun. In der nächsten Folge wollen wir uns dann anschauen, wie ihr gezielt ein gutes Ein- und Durchschlafen einleiten könnt und sinnvolle Einschlafhilfen etabliert– damit Schlafprobleme gar nicht erst auftreten.
Quelle: Babyschlaf – Dr. med. Daniela Dotzauer, Mabuse-Verlag, 2021