In einer
Trageberatung geht es ja nicht nur darum zu zeigen, wie man eine Tragehilfe
korrekt anlegt. Natürlich ist das in erster Linie das Ziel, aber auf dem Weg dorthin
werden Trageberaterinnen und Hebammen auch immer wieder mit unterschiedlichen
Krankheitsbildern konfrontiert, auf die sie vorbereitet sein sollten. Aus
diesem Grund möchte unsere liebe Trageexpertin Katrin an dieser Stelle regelmäßig Krankheitsbilder
aufgreifen und Expertenmeinungen zu diesen im Kontext der Trageberatung genauer
unter die Lupe nehmen.
Vorab sei gesagt, dass alles, was von der Norm abweicht, nicht mehr in den alleinigen Verantwortungsbereich der Trageberaterin gehört. Es empfiehlt sich aber, gemeinsam mit den Eltern eine vorgeschlagene Tragevariante mit Hilfe einer Tragepuppe zu üben, damit diese dann abschließend mit dem/der betreuenden Arzt/Ärztin oder Therapeuten/Therapeutin abgeklärt werden kann. Er oder sie gibt dann auch das endgültige Ok. Bei komplexen Krankheitsbildern kann die Trageberaterin dies natürlich auch persönlich klären.
Was ist eine
Hypotonie?
Heute wollen wir uns also dem Thema „Hypotonie in der Trageberatung“ annehmen. Was ist das? Die (Kinder-) Physiotherapeutinnen Birgit Kienzle-Müller und Gitta Wilke-Kaltenbach haben sich diesem Thema einmal angenommen. Eine Hypotonie wird auch Floppy-infant-Syndrom oder Hypotonus genannt, was häufig mit Entwicklungsverzögerungen vergesellschaftet ist und einen herabgesetzten Spannungszustand der Muskulatur beschreibt. Eine Entwicklungsverzögerung bedeutet, dass dem Baby die Kraft für die Aufrichtung fehlt.
Grundsätzlich hat
jeder Mensch einen Muskeltonus. Dieser beschreibt den Spannungszustand jeder
Muskelfaser und kann demnach normoton, hypoton oder auch hyperton sein.
Normalerweise befinden sich alle Muskeln in einem harmonischen Zusammenspiel.
Es gibt allerdings Zustände oder auch Krankheiten mit zentraler oder muskulärer
Ursache, die das Gleichgewicht der Spannungszustände nicht ermöglichen.
Ursachen können beispielsweise
sein:
- die Einnahme bestimmter Medikamente
- eine vererbte Konstitution der Eltern, z.B. große
Körpergrößen - eine Frühgeburt (die Muskeln des
Frühgeborenen konnten sich noch nicht richtig ausbilden und das Baby hatte
keine Möglichkeit diese in der Enge des Mutterleibes zu trainieren) - allgemein Krankheiten, wie z.B. Down-Syndrom,
Prader-Willi-Syndrom, Muskeldystrophien, Kinder mit Herzfehlern….
Die (Kinder-) Physiotherapeutinnen Kienzle-Müller und Wilke-Kaltenbach fassen die Merkmale des Hypotonus folgendermaßen zusammen:
- das Kind hat beim Hochnehmen kaum Spannung,
Bewegungsarmut, das Kind ist „ruhig“ - fehlende Leichtigkeit der Bewegung
- „auseinanderfallende Haltung“ der Beine und
Arme, in Rückenlage oft U-Haltung der Arme, die Hüftgelenke werden nicht
ausreichend in der Pfanne zentriert - hypermobile Gelenke, überstreckte Wirbelsäule
- eingeschränkte oder überbewegliche
Hüftbeweglichkeit - gefaustete Hände nach dem 3. Monat
- weiche, schwammige Muskulatur
- verkürzte Muskulatur
- wechselndes Spannungsverhältnis von schlaff
zu fest - asymmetrische Körperhaltung
- Schiefstellung von Kopf und Rumpf
- Baby toleriert keine Bauchlage
- die Brustwirbelsäule befindet sich in der
Hyperkyphose - verzögerte Hand/Hand und
Hand/Mund-Koordination - Winkelfehlhaltung der Augen
- kein vollständiger Mundschluss
- häufig schwacher Saugreflex
- eingeschränkte Atemtätigkeit in Bauchlage
- Verstopfung durch Darmträgheit
Therapeutische Maßnahmen bei Hypotonie
Klar ist, dass
diesen hypotonen Kindern eine ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte,
nicht nur in der Trageberatung. Entwicklungsverzögerungen und Gedeihstörungen
sollte rechtzeitig vorgebeugt werden und entsprechende therapeutische Maßnahmen
und medizinische Therapien eingeleitet werden. Je nach Krankheitsbild, Ursache
und Auswirkungsgrad sollten diese Maßnahmen ineinandergreifen und sich
ergänzen.
Zuallererst ist ein gutes Handling mit dem Baby wichtig. Bewegungsförderung hilft dem Kind beispielsweise, sich der Schwerkraft besser anzupassen, gibt Geborgenheit und fördert das Wohlbefinden. Aber auch ergonomisches Tragen kann eine zusätzliche Unterstützung sein. Durch das Tragen und häufige Lagewechsel erhält das Baby Impulse, die sensorisch und motorisch auf sein Lage-, Haltungs- und Bewegungsgefühl einwirken. So müssen Kopf und Rumpf eigenständig Haltearbeit leisten. Außerdem müssen sich Kinder, die getragen werden, mit ihrer Muskelspannung an den Tragenden anpassen. Wird die Tragetechnik dann auch noch mit einer Rotationsbewegung des Kindes im Rumpf kombiniert, verbessert sich die Aufrichtung umso mehr.
Folgende
Tragetechniken werden von den Expertinnen empfohlen:
- Wickelkreuztrage mit Tragetuch
- Hüfttrage mit Ring Sling, eher ab
Kopfkontrolle 6. Monat - Hüftschlinge mit Tragetuch, eher ab
Kopfkontrolle 6. Monat
Das Tragetuch
eignet sich hervorragend, um ein hypotones Kind gezielt und umfassend zu
stützen. Zusätzlich können die Hände des Tragenden an den Füßen des Kindes,
eine Tuchrolle oder ein Moltontuch am Rücken des Babys, sowie das Stimulieren
der nackten Füße unterstützend wirken. Wichtig bei asymmetrischen Tragevarianten
ist das regelmäßige Wechseln der Seiten.
Generell möchten wir an dieser Stelle aber nochmals darauf hinweisen, dass nicht jede Tragetechnik für jedes Kind geeignet ist. Deshalb ist es so wichtig, gut und umfassend zu beraten und zu schauen, welches Kind was benötigt und dies dann mit dem/der behandelnden Arzt/Ärztin VOR der Anwendung abzustimmen.
Quelle (detailliert nachzulesen in):
Dresdner TrageTage, Tagungsband 2011, Birgit Kienzle-Müller/ Gitta Wilke-Kaltenbach: Tragen von hypotonen (schlaffen) Kindern