Optimaler Stillstart: die Initialzündung direkt nach der Geburt

Es ist Internationale Weltstillwoche. Das bedeutet: die ganze Welt feiert eines der schönsten und wichtigsten Ereignisse im Leben einer Mutter und ihres Babys, das Stillen. In diesem Jahr steht die Weltstillwoche, die vor genau 30 Jahren erstmalig von der Alliance of Breastfeeding Action (WABA) ins Leben gerufen worden ist, unter dem Motto „Stillen – unser gemeinsamer Weg“. Dahinter steckt der Ansatz, dass das Stillen als gesunde Art der Säuglingsernährung geschützt werden muss und dass dafür alle an einem Strang ziehen. Mit alle sind das hiesige Gesundheitssystem, der Arbeitgeber, aber auch die Gemeinschaft, in die das Baby hineingeboren wird, gemeint. Es muss von allen Seiten ein stillfreundliches und -förderndes Umfeld geschaffen werden.

Grundsätzlich ist ja ausreichend bekannt, dass das Stillen mit Muttermilch dem Baby und auch der Mutter in vielerlei Hinsicht guttut. Aber immer mehr frisch gebackene Mütter bekommen dabei nicht die Unterstützung, die sie dafür benötigen. Vor allem der Stillstart ist doch in vielen Fällen schwieriger als man bzw. frau denkt. Das braucht einfach immer Zeit, Achtsamkeit, Geduld und Aufmerksamkeit. Und dies wird aus den unterschiedlichsten Gründen oftmals vernachlässigt, wie auch unsere Hebamme und Trageexpertin Katrin weiß. Deshalb möchte sie im heutigen Expertentipp nochmal klarstellen, wie ein guter Stillstart idealerweise aussieht. Und warum dafür eben alle Beteiligten bereits direkt nach der Geburt gefragt sind.

Die Basis für eine gute Stillbeziehung

In der Vergangenheit haben wir uns hier auf unserem Blog schon häufig mit möglichen Stillproblemen wie Mastitis oder Soor beschäftigt. Heute wollen wir aber mal schauen, wie ein guter Stillstart gelingen kann – damit viele Schwierigkeiten gar nicht erst auftauchen. Der Stillstart direkt nach der Geburt wird nämlich leider oft nicht ernst genommen und ein erstes Stillen häufig sehr lange hinausgezögert. Manchmal findet es sogar erst nach der Verlegung auf die Wochenstation statt.

Das liegt nicht selten daran, dass in der klinischen Geburtshilfe ein fragwürdiger Aktionismus herrscht: Oft wird das Kind abgesaugt, sehr schnell abgenabelt, weggetragen, um es zu begutachten und zu untersuchen, zu baden und anzuziehen. Aus klinischer Sicht ist dies auch oft verständlich… die Hebammen stehen zeitlich unter Druck, da sie zu viele Frauen gleichzeitig betreuen müssen und mit ihrem Arbeitsvolumen fertig werden müssen. Natürlich haben sich die Zeiten im Gegensatz zu früher verbessert: schließlich gibt es stillfreundliche Krankenhäuser, Rooming-in und ambitioniertes Personal – trotzdem misslingt ein guter Stillstart all zu oft.

Die Phase direkt nach der Geburt ist die erste Begegnung von Mutter, Kind und Vater. Das bedeutet in erster Linie ein gemeinsames Ankommen, das aus gegenseitigem Beschnuppern, Umarmen, Kuscheln, Entdecken, Finden und – ganz wichtig – Stillen besteht. Das Stillen ist in diesem Moment ein physiologischer, aber auch in der Evolution fest verankerter Prozess, der von außen nicht gestört werden sollte. Dieser Augenblick ist einzigartig und unwiederbringlich – als Basis für eine gute Stillbeziehung, aber auch für die Bindung zwischen Mutter und Kind und zur Förderung der emotionalen Gesundheit. Er ist eine Initialzündung für den gesamten Stillprozess.

Eine Ausnahmesituation für Mutter und Kind

Die Geburt an sich ist ein Höhepunkt der Kraftanstrengung mit größter Erregung. Jede Mutter geht damit anders um: einige sind sofort bereit, sich dem Kind zuzuwenden, andere brauchen einige Minuten, um sich zu sammeln. Die Mutter wird nach der Geburt von verschiedenen Reizen des Kindes angesprochen: durch Schreie, Laute, visuelle Reize, Anfassen, Geruch, Geschmack (Kuss). Wobei die akustische Lebensäußerung den größten Reiz ausmacht. Wichtig ist in diesem Moment, dass alle Anwesenden der Mutter genügend Raum lassen, um zu agieren und reagieren und um in Interaktion mit dem Kind zu treten.

Und dabei sollte nicht nur die Situation der Mutter berücksichtigt werden. Auch das Kind befindet sich in diesem Augenblick in einer Ausnahmesituation. Gerade erst hat es seinen gewohnten Schutzraum, seine räumliche Begrenzung, verlassen und kommt nun in eine Umgebung mit 10-15 Grad Temperaturunterschied. Es muss von jetzt auf gleich selbstständig atmen. Dies ist eine immense Veränderung und der Säugling braucht Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Daher ist es grundsätzlich wichtig, dass ihr vorher mit der Hebamme besprecht, wie ihr euch das Prozedere nach der Geburt vorstellt. Handelt einzig und allein nach eurem Bauchgefühl – immer vorausgesetzt, dass mit euch und dem Kind alles in Ordnung ist und keine medizinischen Notfallmaßnahmen notwendig sind.

Tipps für einen erfolgreichen Stillstart

An dieser Stelle möchten wir euch nun die wichtigsten Tipps an die Hand geben, damit ihr wisst, wie ihr eine gute Basis für eine gesunde Stillbeziehung legen könnt:

  1. Das erste Stillen sollte immer aus dem direkten Körperkontakt erfolgen (das Kind sollte euch vorher nicht weggenommen werden)
  2. Das Geben des Fingers, z.B. vom Vater, nach Kaiserschnittgeburten sollte vermieden werden, da es zu Verwirrung führen kann
  3. Ein gesundes Neugeborenes wird nach Geburt von der Hebamme kurz abgewischt und mit einem Handtuch gewärmt, bis es von dir begrüßt und selbstständig aufgenommen wird (die Hebamme unterstützt und nabelt nur bei sehr kurzer Nabelschnur sofort ab)
  4. Trau dich dir Zeit zu nehmen, bis du so weit bist und nimm dann dein Kind auf deine nackte Brust
  5. Frühstens nach 10 min. beginnt sich der Mutterkuchen abzulösen und die Nabelschnur kollabiert. Prüfe selbst, wann der Puls an der Nabelschnur nicht mehr fühlbar ist, dann kann abgenabelt werden
  6. Bei Geburt des Mutterkuchens und ggf. auch bei Versorgung der Geburtswunde bleibt das Neugeborene warm eingepackt auf deiner Brust und ihr könnt euch beschnuppern
  7. Dein Baby wird auf deiner Brust anfangen zu suchen und oft den Weg allein finden. Wenn nicht, dann ist es ratsam, dass das erste Anlegen circa 30 Minuten (Richtwert) nach der Geburt erfolgt (Merke: in den ersten 2 Stunden nach der Geburt ist die Saugbereitschaft am größten, danach wird das Kind müde und schläft)
  8. Nach einem Kaiserschnitt solltest du um Unterstützung bitten, damit das Kind gut abgestützt ist, während du noch in Rückenlage liegst (beide Arme des Kindes umfassen die Brust, damit die Brustwarze gut im Mund liegt und es nicht zu Problemen kommt)
  9. Untersuchungen und Messungen eines gesunden Neugeborenen sollten frühstens nach dem ersten Stillen stattfinden
  10. Die Licht- und Lärmverhältnisse sollten der Situation angepasst sein
  11. Die Betreuenden sollten sich zurückziehen
  12. Nach der ersten Brust kann auch schon einmal die U1 stattfinden, danach dann die zweite Brust angelegt werden
  13. Ein Anziehen erfolgt erst kurz vor der Verlegung oder später auf der Wochenstation (der direkte Hautkontakt ist elementar wichtig, um auf dieser Welt gut anzukommen)

Quelle: Das Neugeborene in der Hebammenpraxis, Thieme, 3. Auflage 2021, S. 59-69