Stimmt das wirklich? Vorurteile gegen das Tragen
Unserer Expertin Mieke reicht es. Immer wieder liest und hört sie Dinge, die sich gegen das Tragen von Babys in einer Tragehilfe richten. Diese Vorurteile gibt es schon lange und sie halten sich hartnäckig in der Gesellschaft. Als großer Tragefan nimmt sie sich heute deshalb mal ein paar dieser Evergreens vor und schaut, was da wirklich hinter steckt:
Wenn Eltern ihr Baby tragen, bekommen sie oft ungefragt die unterschiedlichsten Dinge zu hören. Zeit, sich dieser Mythen einmal anzunehmen und zu gucken, woher diese kommen und ob da etwas dran ist.
„Das ist aber schlecht für das Kind! Babys dürfen nur liegen, sonst bekommen sie Skoliose!“
Woher kommt der Mythos, dass ein Baby nur liegen darf und dass Tragen schlecht sei?
Zum einen ist es in der Lehre der Emmi Pikler sowie der Waldorfpädagogik zentrales Element, dass Kinder erst etwas tun sollen, wenn sie selber dazu in der Lage sind. Somit sollen Babys also erst dann aufrecht transportiert werden, wenn sie sich eigenständig aufrichten können. Wer also diese Lehre vertritt, kann dem Tragen konsequenterweise nur skeptisch gegenüber stehen.
Aber auch Kinderärzte und Physiotherapeuten haben manchmal eine ablehnende Haltung dem Tragen gegenüber. Manchmal hängen in ihren Praxen sogar Poster, auf denen vor dem Tragen gewarnt wird. Auf einem dieser Poster ist eine Trage aus den 80er Jahren abgebildet. Es wird davor gewarnt, dass das Baby in Wippen, Autositzen und Tragehilfen ungestützt liegt und seitlich wegsackt. Diese fehlende Stützung ist auch die Sorge von Ärzten und Therapeuten, die dem Tragen negativ gegenüberstehen. Und ja, viele Tragehilfen und Bindeweisen von früher waren tatsächlich aus entwicklungsphysiologischer Sicht nicht empfehlenswert, da sie das Baby in aufrechter Haltung nicht korrekt gestützt haben und es in sich zusammensacken konnte.
Aber in den letzten 15 Jahren hat sich hier unheimlich viel getan – begonnen mit der ersten Ergobaby Babytrage, die die Designerin Karin Frost gemeinsam mit ihrer Mutter (einer Physiotherapeutin) entwickelte und die seit 2003 erhältlich ist. Seitdem hat sich der Markt an Babytragehilfen laufend weiterentwickelt. Es gibt mittlerweile sehr viele ergonomische, das Baby rundum optimal stützende Tragehilfen, in denen es gesund getragen werden kann.
Dass alle Ergobaby Tragehilfen gesund für den Rücken von Baby und Tragendem sind, hat auch die unabhängige Prüfkommission „Aktion gesunder Rücken“, mit Experten aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen, festgestellt und allen Ergobaby Modellen ihr Siegel verliehen. Übrigens: Eine Studie der Universität Köln aus dem Jahr 2010 hat ergeben, dass „das Tragen von Kleinstkindern in Tragevorrichtungen weder negative Entwicklungen auf die Haltungsentwicklung noch auf die Entwicklung von Wirbelsäulendeformitäten mit sich zieht (…) der Mythos einer gesundheitsschädlichen Auswirkung des Tragens konnte wissenschaftlich nicht belegt werden.“
„Wenn du dein Kind laufend trägst, verwöhnst du es und es tanzt dir später auf der Nase rum!“
Dieser Mythos hält sich hartnäckig, besonders bei älteren Generationen. Früher hatten die Menschen einfach ein ganz anderes Bild von Kindern und sahen in ihnen kleine Erwachsene, die geformt werden müssen. Mit der immer weiter voranschreitenden Bindungsforschung und Entwicklunspsychologie hat man mittlerweile aber ganz andere Erkenntnisse darüber, was ein Baby braucht. Mit Liebe und Aufmerksamkeit kann man ein Kind nicht verwöhnen, sondern nur stärken.
„Wenn es getragen wird, wird es nie krabbeln oder laufen lernen!“
Wann ein Baby laufen lernt, liegt an viele Faktoren. Fakt ist, ein Baby muss irgendwie transportiert werden. Während es im Kinderwagen passiv geschoben wird, schwingt es beim Tragen aktiv mit und erhält permanent Stimulation. Die ausgleichenden Mikro-Bewegungen, die die Muskeln des Kindes in Resonanz zur Bewegung der Mutter machen, regen den Muskelaufbau an, die Lageveränderungen schulen den Gleichgewichtssinn und die Sinnesreize regen ganz nebenbei die Hirnentwicklung an.
„Das arme Baby – das kriegt doch keine Luft!“
Natürlich muss man beim Tragen sicherstellen, dass die Luftzirkulation gegeben ist. Und auch, dass sich keine CO2-Nester bilden können und die Atemwege frei sind. Also Nase frei, zwei Finger breit Platz zwischen Brust des Kindes und seinem Kinn und keine Schnuffeltücher etc. so platzieren, dass das Baby die eigene ausgeatmete Luft wieder einatmet. Beim Tragen im Tuch oder unter der Tragejacke sollte man deshalb darauf achten, dass das Köpfchen nicht komplett eingepackt ist. Eine Studie der Universität Köln hat übrigens schon 2002 ergeben, dass es während des Tragens im Tragetuch zwar zu einem leichten Abfall der Sauerstoffsättigung kommt, dieser aber nicht klinisch relevant sei. Bei Schnupfen erleichtert die aufrechte Haltung dem Baby sogar die Atmung, da der Schleim so besser ablaufen kann als im Liegen.
„Diese gespreizte Haltung ist doch unbequem und ungesund!“
Die Haltung, die in diesem Fall gemeint ist, nennt sich Anhock-Spreiz-Haltung. Was auf den ersten Blick seltsam aussehen mag, ist aber tatsächlich die optimale Haltung für die gesunde Hüftreifung des Babys und unterstützt daher ein gesundes Ausreifen der Hüftgelenke optimal. Wird bei einem Baby bei der Hüft-Sonografie im Rahmen der U3 eine Hüftfehlstellung festgestellt, bekommt das Baby in der Regel eine sogenannte Hüftbeugeschiene angepasst, die es dann die nächsten Wochen/Monate permanent tragen muß. Diese Schiene fixiert das Baby in eben jener Stellung, in der es auch in einer guten Tragehilfe bzw. einem korrekt gebundenen Tragetuch getragen wird. Viele Kinder tolerieren das Tragen dieser Schiene übrigens sogar besser, während sie getragen werden, als wenn sie damit liegen müssen. Im aufrechten Zustand können sie so ihren Rücken besser runden und das ist deutlich bequemer. Wichtig ist hierbei, die Schiene auch im Tuch/der Tragehilfe weiterhin zu tragen und darauf zu achten, dass die Beine korrekt in den Schalen aufliegen – es sei denn, der Arzt hat das Tragen ohne Schiene explizit abgesegnet. Bei nur ganz leichten Fehlstellungen, die noch keine solche Behandlung erfordern, wird häufig eine „Spreizhose“ verordnet. Oder die Eltern werden aufgefordert, das Kind die nächsten Wochen breit zu wickeln. Es gibt aber auch viele Ärzte, die den Eltern in dieser Situation nahelegen, ihr Baby als Therapie oft und ausdauernd in einer Tragehilfe zu tragen, die die Anhock-Spreiz-Haltung unterstützt.
„Die arme Mama, macht sich doch den Rücken kaputt bei dem Geschleppe!“
Wenn Hebammen zu Hausbesuchen im Wochenbett klingeln, wird ihnen die Tür in den allermeisten Fällen mit Baby auf dem Arm geöffnet. Neugeborene haben einfach ein Urbedürfnis nach Nähe und Geborgenheit – und was gibt es Schöneres, als sein kleines Baby im Arm zu halten? Doch das Tragen des Kindes auf dem Arm belastet die Haltung der tragenden Person weitaus mehr, als wenn es in einem Tuch oder einer Tragehilfe nah an den Körper des Tragenden gebunden ist. Je enger die zusätzliche Last mit einem verbunden ist, desto besser verkraftet man sie. Aber nicht nur der Rücken, sondern auch der Beckenboden profitiert davon, wenn das Baby in einer Art und Weise getragen wird, in der die Haltung des Tragenden aufrecht ist.
„So kann das Kind ja nie in die Kita eingewöhnt werden!“
Damit haben diejenigen sogar ein bisschen Recht – und gleichzeitig auch nicht.
Wie gut oder schlecht sich ein Kind in die Kita eingewöhnen lässt, hängt von den unterschiedlichsten Faktoren ab. Wie steht die Bezugsperson dazu, dass das Kind in die Kita kommt? Sind Mama oder Papa vielleicht selber noch nicht bereit dazu und das Kind spürt die Unsicherheit? Sind die Kita und die Erzieher dem Kind vielleicht schon vertraut, weil es bereits regelmäßig mit dabei war, wenn ein größeres Geschwisterkind gebracht/abgeholt wurde? Neben all diesen Rahmenbedingungen hängt die Dauer der Eingewöhnung aber auch damit zusammen, ob das Kind gerade in einem Entwicklungsschub ist oder nicht und wie die Bindung zu den Personen ist, die mit dem Kind die Eingewöhnung machen. So stecken Kinder mit einem Jahr oft gerade mitten in einem Entwicklungsschub, der sie sowieso den Schutz seiner Bezugspersonen suchen lässt, während sie mit 15-16 Monaten diesen Schub vielleicht gerade hinter sich haben und nun eher darauf aus sind, die Welt zu entdecken.
Kinder, deren Bindung zu ihren Eltern sicher und stark ist, erkennt man daran, dass sie kurzfristig irritiert sind und weinen, wenn die Bezugsperson den Raum verlässt, sich aber von der Erzieherin trösten lassen, mit ihr spielen und dann aber der Bezugsperson bei ihrer Wiederkehr freudig entgegenlaufen. Sie sind in diesen Situationen hohem Stress ausgesetzt, da sie große Unsicherheit und Angst haben, die Bindungsperson komme nicht wieder. Sicher gebundene Kinder brauchen meist eine etwas längere Eingewöhnungszeit. Tragen hilft dabei, eine starke und sichere Bindung aufzubauen, daher kann man schon irgendwie sagen, dass Tragen dazu beiträgt, dass die die Eingewöhnung länger dauert. Aber ist es das nicht absolut wert?
Gleichzeitig bietet das Tragen aber auch eine tolle Möglichkeit, dem Kind die Eingewöhnung zu erleichtern. Man kann damit toll Kuschelzeit nachholen oder – wenn das Kind auch von der Erzieherin getragen wird – dem Kind Schlüsselmomente wie die ersten Mittagsschläfchen oder kleine Mama-Sehnsuchtsattacken durch das bekannte und positiv besetzte Gefühl des Getragenwerdens erleichtern.
„Das gefällt dem Baby aber nicht – siehst du, es weint schon beim in die Trage stecken!“
Dafür, dass das Baby weint, wenn es in die Tragehilfe gesetzt oder in das Tuch eingebunden wird, kann es viele Gründe geben. Normalerweise ist das Getragenwerden die natürlichste Transportart für ein Baby und die meisten lieben es. Allerdings findes die meisten Babys gleichzeitig auch den Moment ziemlich doof, wenn sie in Tuch oder Tragehilfe eingebunden werden. Sie geben dann lautstark bekannt, dass sie das Gezuppel mal so gar nicht lustig finden. Sind Eltern noch unsicher im Umgang mit der Tragehilfe, ist es ein guter Tipp, das Anlegen anfangs auch einfach mal mit der Puppe oder einem Teddy zu üben, um Sicherheit zu gewinnen. Sind die Eltern unsicher und hektisch, erhöht sich nämlich ihre Atemfrequenz und ihr Herzschlag. Das bekommen die Kinder mit und spiegeln diese Emotionen durch Unruhe, Gestrampel und Weinen.
Manchmal hat ein Baby aber auch einfach Hunger und beschwert sich dann lautstark, so nah an der Brust zu sein aber nicht ran zu dürfen – oder aber das Baby muss mal und die Urinstikte halten es davon ab, ihr „Nest“ (die Tragehilfe) zu beschmutzen… das mit der Windel wissen ja die Urinstinkte nicht. Eltern können es dann einfach in einem ruhigen, entspannten Moment noch einmal versuchen, wenn das Baby satt, zufrieden und trocken ist.
Es kann aber natürlich auch sein, dass die Komforttrage/das Tragetuch falsch eingestellt/gebunden ist oder die Kleidung unbequem drückt und das Baby sich deshalb – zu Recht! – beschwert. Kinderkleidung mit engen Bündchen, festen Materialen und vielen Nähten eignet sich zum Tragen nicht so gut wie eng anliegende Strumpfhosen und Leggins sowie weiche Fleece-Anzüge.
„Das arme Kind! Das ist doch schädlich, aufrecht zu tragen“
Menschenbabys kommen zu einem Zeitpunt auf die Welt, an dem sie noch gar nicht ganz ausgereift sind. Das ist sozusagen ein Kompromiss von Natur und Evolution: durch den aufrechten Gang würden Babys mit ihrem großen Kopf zu einem späteren Geburtszeitpunkt kaum noch durch das Becken und den Geburtskanal passen und auch der weibliche Körper könnte eine deutlich längere Schwangerschaft kaum verkraften. Man nennt dies physiologische Frühgeburt. Dass das Tragen von Natur aus vorgesehen ist, damit diese physiologische Frühgeburt ungestört außerhalb des Mutterleibes nachreifen kann, könnt ihr hier nachlesen: „Tragen ist von der Natur vorgesehen“.
Die Bandscheiben eines Babys sind zu Beginn voll durchblutete Bandscheibenkerne, die aber bei guter Stützung des Babyrückens durch Tuch oder Tragehilfe bereits optimal ihre Arbeit verrichten, Erschütterungen und Stöße (wie beispielsweise die Schritte des Tragenden) abfedern und dadurch die Wirbel schützen können. In Liegeposition transportiert geht allerdings jede Erschütterung direkt auf die Wirbel – daher ist es besonders wichtig, bei dem Kinderwagenkauf auf eine gute Federung zu achten.