So lange habt ihr gewartet auf den Moment, in dem ihr euer kleines Baby endlich in den Armen haltet. Dieser atemraubende Augenblick, diese unglaublichen Emotionen, dieses Wunder… Und doch läutet dieser Moment für viele Mütter (und auch Väter) eine Phase ein, die geprägt ist von Erwartungen, Druck und Stress. Im Idealfall sollte das natürlich nicht so sein. Aber wir selbst und unser Außen sorgen in vielen Fällen leider dafür, dass wir zu viel wollen und alles rund und perfekt abläuft. Vor allem, wenn es um das Thema Stillen geht. Mütter, die ihr Baby gerne stillen möchten, werden schnell nervös, wenn es nicht sofort so läuft, wie sie es sich vorgestellt haben. Verständlicherweise. Schließlich sehen sie ihren Säugling hungrig vor sich liegen und möchten ihm endlich geben, wonach er so dringend verlangt. Und dann klappt es nicht...
Diese eben beschriebene Situation bringt uns dazu die Frage zu stellen, wie Stillen und psychischer Stress eigentlich zusammenhängen. Wie wirkt sich der Stress, den die Mutter empfindet, auf das Stillen aus? Und dann andersrum gefragt, welchen Einfluss hat das Stillen eigentlich auf den Stresszustand der Mutter? Die Antworten auf diese und viele weitere spannende Fragen hat auch heute wieder unsere Hebamme Katrin Ritter.
Stillen und psychischer Stress – wie sich Stress auf das Stillen auswirkt
Kann Stress das Stillen beeinflussen? Nun ja, egal ob positiv oder negativ, Stress ist nie gut und hat eigentlich immer Einfluss auf uns und unser Handeln, unseren Körper, unsere Psyche. Und damit auch aufs Stillen. Tatsächlich ist Stress sogar einer der Hauptgründe, der zu Stillproblemen wie Brustentzündungen, eine zu geringe Milchproduktion oder Milchstau führen kann. Wie bitte, kann Milchstau durch Stress entstehen? Die simple Antwort: Ja, kann er. Denn wenn unser Körper unter Stress steht, schüttet er Adrenalin aus und das kann sogar zum Milchstau führen.
Denn der Vorgang, der beim Stillen dazu führt, dass die Milch läuft, nennt sich Milchspendereflex und dieser ist sehr empfindlich. Er wird ausgelöst durch Reize wie das Saugen des Säuglings oder einer Milchpumpe, manchmal sogar durch das bloße Anschauen des Babys. In diesem Moment wird im Körper der Mutter nämlich das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Und dieser feine Ablauf wird durch die Adrenalinausschüttung unterbrochen.
Wodurch entsteht Stress beim Stillen?
Die Erklärung, warum das so passiert, liegt weit zurück: damals war dieser Mechanismus nämlich ein reiner Schutzmechanismus. Drohte Gefahr, stoppte auch der Milchfluss, damit die Mutter sich erst einmal in Sicherheit bringen und sich dann dort in Ruhe weiter um den Nachwuchs kümmern konnte. Heute lautet die Gefahr nicht mehr „Säbelzahntiger“ oder ähnliches, dafür lauert in unserem Alltag eine andere Gefahr: der Dauerstress. Die Ursachen dafür liegen in uns selbst: unsere eigenen Erwartungen. Aber auch an denen der Außenwelt. Rund um das Thema Geburt können das konkret folgende sein:
- Versagensängste („Werde ich genug Milch haben? Werde ich mein Kind stillen können? Wird es satt werden?“)
- eine anstrengende oder traumatische Geburt
- Schmerzen und Krankheit
- Zeitdruck und Hektik
- Angst (z.B. um das Baby)
- Leistungsdruck und zu hohe Erwartungen
- Störungen (z.B. durch zu viele Besucher oder verwirrende Ratschläge)
All das übt selbstverständlich Druck aus. Und Druck ist beim Stillen absolut fehl am Platz. Nicht umsonst liest man immer und überall, dass man sich entspannen soll, wenn man stillt. Alles soll so angenehm wie möglich sein, gerade beim Stillstart: der passende Ort, das passende Stillkissen, Ruhe,…
Wie kann ich den Stress beim Stillen stoppen?
Am besten sollte Stress gar nicht erst auftreten. Aber schon allein das kann ja den einen oder anderen schon wieder unter Druck setzen. Was ein Teufelskreis. Was also könnt ihr konkret tun? Zuallererst macht euch klar: es gibt (in den meistens Fällen) überhaupt keinen Grund davon auszugehen, dass es nicht klappt. Unter normalen Umständen bringt ihr doch alles mit, was ihr braucht, um euer Baby zu stillen. Also freut euch drauf und geht das Thema positiv an.
Außerdem habt ihr einen echten Experten an eurer Seite, wenn es um’s Stillen geht: euren Säugling. Denn der weiß genau, was zu tun ist. Schließlich ist er – wie ihr – von Natur aus dafür gemacht. Er weiß genau, wann er Hunger hat und er weiß auch, wie er an seine Nahrung kommt. Habt Vertrauen. Und bewahrt Ruhe. Auch wenn es mal nicht klappt. Tief ein- und ausatmen und es nochmal versuchen. Oder eine Pause einlegen und dann nochmal von vorne anfangen. Ist auch nicht immer leichter gesagt als getan, aber versucht wirklich positiv zu bleiben. Es wird!
Wie ihr euch beim Stillen entspannen könnt
Damit ihr entspannen könnt, ist es wichtig, den Körper zu entspannen und für eine ruhige und angenehme Atmosphäre zu sorgen. Setzt euch in eine entspannte und bequeme Position, schaltet das Handy aus, macht sanfte Musik an und dimmt das Licht. Vielleicht hilft euch auch ein bisschen Wärme zum Entspannen, mittels Stilltee, warmer Decke oder Wärmflasche.
Wenn ihr Schmerzen habt, ist das auch Stress und erschwert den Stillprozess. Sprecht in diesem Fall am besten mit eurer Hebamme oder eurem Arzt/eurer Ärztin und schaut nach der Ursache. Wenn gar nichts anderes hilft, kann euch letztere/r auch mal ein stillverträgliches Schmerzmittel verschreiben (aber nur kurz anwenden), damit ihr euch wirklich voll und ganz auf das Stillen einlassen könnt, ohne dass es irgendwo zwickt.
Zuguterletzt ist es unheimlich wichtig, ehrlich zu sein. Zu eurer Familie, zu Freunden, aber auch zu euch selbst. Denn wenn euch alles zu viel wird und ihr eigentlich so gar keine Lust auf noch mehr Babybesuch habt, dann sagt es auch. Das wird jeder in eurem Umfeld verstehen (müssen). Und nehmt Hilfe an, wenn sie euch angeboten wird. Noch besser: fragt danach. Das können die meisten Mamis nämlich nicht so gut. Aber in der Zeit des Wochenbettes lautet das oberste Gebot: schonen, schonen, schonen und wie ihr jetzt gelernt habt: - auch alle Stressfaktoren vermeiden.
Vielleicht fragt ihr euch auch, „wird Stress durch Muttermilch auf euer Baby übertragen?“ Die klare Antwort darauf: Nein. Macht euch nicht auch noch darum Sorgen. Ja, euer Baby merkt, wenn ihr Stress habt und kann selbst besser entspannen, wenn ihr es auch tut. Aber Stress wird nicht über die Muttermilch übertragen. Wie gesagt, euer Nachwuchs ist der Experte bei dem Thema und weiß instinktiv, dass ihr es gemeinsam schaffen könnt.
Stillen und psychischer Stress – Ist Stillen Stress für den Körper?
Auch wenn ihr jetzt wisst, dass die Stillzeit euch stressen kann und Stillen unter Stress häufig der Hauptgrund dafür ist, dass nicht genug Milch produziert wird, die Milch nicht fließt oder es zu Milchstau oder Brustentzündungen kommen kann, Stillen bzw. die Milchproduktion an sich ist kein Stress für den Körper. Stillen hat einen positiven Effekt auf den mütterlichen Stress. Es dämpft nämlich die Stressreaktion und sorgt sogar für doppelt so lange Tiefschlafphasen!
Wie jetzt? Normalerweise wird Stillen doch häufig wahrgenommen als großes Opfer, das eine Mutter für ihr Kind erbringt. Dabei hilft es der Mutter sogar, indem es den körperlichen Stress sogar runterreguliert? Ja, so sieht es aktuell zumindest die Wissenschaft: Stillen hilft, die Herausforderungen der Elternschaft zu bewältigen. Und die sind nicht ohne: Zweifel, Schlafentzug, Ängste um das Baby, körperliche Beeinträchtigungen und vieles mehr. Rund 20% der frisch gebackenen Mütter klagen nicht umsonst bereits im ersten Jahr nach der Geburt über depressive Symptome. Und genau deshalb hat die Natur dafür gesorgt, dass es etwas gibt, dass euch hilft, diese belastende Phase irgendwie zu überstehen: das Stillen.
Das heißt, Stillen ist für eure Stressregulation wichtig, aber es hat auch viele Vorteile, warum es sich auf jeden Fall lohnt zu stillen. Denn Muttermilch ist die ideale Nahrungsquelle, die eurem Baby all die Nähr- und Abwehrstoffe gibt, die es benötigt. Stillen stärkt die Mutter-Kind-Bindung – übrigens aktuell eines der Hauptmotive für die Entscheidung vieler Mütter ihr Baby zu stillen – und wirkt sich auf die Intelligenz und Immunfunktion eures Nachwuchses aus. Viele Gründe, um euch auf eure Stillreise zu begeben.
Vorteile des Stillens: Doppelt so viel Tiefschlaf für stillende Mütter
Stillen sorgt dafür, dass ihr nachts doppelt so viel Tiefschlaf bekommt wie kinderlose Frauen oder Mütter, die Säuglingsmilchnahrung füttern. Kaum zu glauben, oder? Aber wissenschaftliche Studien haben tatsächlich aufgezeigt, dass stillende Mamis bei ähnlicher Gesamtschlafdauer durchschnittlich über 3 Stunden (182 Minuten) Tiefschlaf hatten. Zurückzuführen sei das vermutlich auf einen hohen Spiegel an Prolaktin, einem Hormon, das neben Oxytocin im Zusammenhang mit der Milchbildung und dem Stillen vermehrt ausgeschüttet wird.
Ebenfalls konnte bei diesen Studien festgestellt werden, dass stillende Mütter sensibler auf Signale des Säuglings reagieren. Und zwar wurden dabei Hirnregionen, die für die Mutter-Kind-Bindung und Empathie zuständig sind, bei stillenden Müttern stärker aktiviert, wenn das Baby geschrien hat als bei nicht stillenden Müttern. Ob das mit den oben genannten Stillhormonen zusammenhängt oder damit, dass Mutter und Kind beim Stillen häufiger engen Körperkontakt erfahren, ist allerdings nicht bekannt.
Hilft Stillen bei postpartaler Depression?
Da wir nun wissen, dass das Stillen jede Menge positive Effekte auf die Stressregulation und die Sensibilität der Mutter hat, wollen wir jetzt schauen, ob das Stillen auch einen Effekt auf die postpartale Depression hat. Immerhin tritt diese bei 13% aller Frauen im westlichen Kulturkreis innerhalb der ersten drei Monate nach Entbindung auf. Und tatsächlich, es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Stillen vor einer postpartalen Despression schützen kann. Denn bei nicht depressiven Müttern wurden höhere Oxytocinspiegel festgestellt als bei depressiven Müttern. Und wie ihr ja wisst, wird Oxytocin beim Stillen ausgeschüttet.
Andersherum sollten wir an dieser Stelle aber auch noch erwähnen, dass eine psychische Störung wie eine postpartale Depression natürlich auch dazu beiträgt, dass Mütter das Stillen eher als problematisch empfinden und ihr Baby früher wieder abstillen, während Mütter mit pränataler Depression mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit überhaupt anfangen zu stillen. Und diejenigen, die es doch tun, haben dann – einer weiteren Studie zufolge – 2,3 Monate früher abgestillt als psychisch gesunde Mütter.
Es ist auch wirklich verständlich, dass Mütter mit typischen Symptomen einer Depression (gedrückte Stimmung, geringes Selbstwertgefühl, Ängste, Selbstzweifel, usw.) bekannte und weit verbreitete Stillprobleme als schwieriger zu bewältigen wahrnehmen. Und genau diese mütterliche Stressreaktion führt dann wiederum dazu, dass weitere Stillhindernisse auftreten (unzureichende Milchbildung, Milchstau, Brustentzündungen). Und da depressive Mütter tendenziell weniger sensibel auf die Signale ihres Babys reagieren, kann es bei diesen ebenfalls schneller zu Problemen beim Anlegen und der Entwicklung einer Stillroutine kommen. Und damit wären wir wieder am Anfang des Teufelskreises…
Stillen und psychischer Stress – ein komplexer Zusammenhang
Puh, ihr seht, die Themen Stillen und psychischer Stress hängen sehr eng zusammen und bedingen sich tatsächlich gegenseitig. Wobei die positiven Effekte für Kind und Mutter durchaus überwiegen. Das heißt zusammengefasst: Grundsätzlich haben alle Formen von Stress einen Einfluss auf das Stillen an sich. Und durch eure Erwartungen und Bedenken, was das erfolgreiche Stillen angeht, kann durchaus Stress entstehen, der euch dann dabei im Weg steht. Aber diese Spirale könnt ihr mit einfachen Mitteln (Entspannung!) durchbrechen. Und dann bringt es nicht nur eurem Baby, sondern auch euch körperlich und psychisch sehr viel Gutes. So hilft es euch, diese anstrengende erste Phase in eurer Rolle als frisch gebackene Mama zu überstehen, indem es euch sensibler gegenüber den Signalen eures Babys macht und euch sogar zu mehr Tiefschlaf verhilft. Sogar das Risiko einer postpartalen Depression kann das Stillen verringern. Also, habt Vertrauen und Zuversicht. Dann werdet ihr eine wunderbare Stillzeit erfahren.
Quelle: Natuerlich-geliebt.de