Sie ist gewagt, diese Überschrift, aber genau deshalb auch so unglaublich wichtig. Denn: die Trageweise mit Blick nach vorn ist heftig umstritten – leider. Es kann gut sein, dass an dieser Stelle nur noch wenige von euch weiter lesen, da die anderen schon empört weitergeklickt haben. Dabei hat diese vierte Trageposition durchaus seine Berechtigung. Warum, das verrät euch unsere liebe Trageberaterin Mieke im heutigen Expertentipp des Monats.
Mit den Babytragen Omni 360 und 360 bietet sich die Möglichkeit, die Kinder nicht nur vor dem Bauch mit Blick zum Tragenden, auf der Hüfte und auf dem Rücken zu tragen, sondern auch vor dem Bauch mit Blick nach vorne. Liest man allerdings einmal im Internet quer, findet man sofort Aussagen, dass das Tragen in Blickrichtung des Tragenden schädlich sei für die Hüftgelenke, das Kind mit Reizen überflutet werde und die Eltern ja sowieso völlig verantwortungslos seien, wenn sie es überhaupt in Erwägung ziehen, ihr Kind so tragen zu wollen. Anlass genug, sich einmal genauer mit dieser Trageweise zu beschäftigen.
Die korrekte Haltung beim nach vorne-Tragen
Es ist in der Tat so, dass bei dem Tragen in Blickrichtung besonders darauf geachtet werden muss, dass das Kind in einer für die Hüftreifung gesunden Haltung getragen wird, es gut gestützt wird und der Rücken jederzeit adäquat in seiner natürlichen Haltung gestützt wird. Außerdem sollten die Beinchen nicht einfach gerade herunter baumeln, so dass das Baby im Hohlkreuz ist. Und genau aus diesen Gründen hat beispielsweise die Entwicklung der Ergobaby 360 auch ziemlich lange gedauert. Was da an Prototypen entwickelt, ausprobiert und sofort wieder verworfen wurde… Insgesamt hat es von der Idee bis hin zur fertigen Trage mehrere Jahre gedauert.
Die Haltung des Babys in der Fronttrageweise mit Blick nach vorn in der Ergobaby 360 und der Omni 360 stützt den Rücken in seiner natürlichen Haltung. Sie übt keinen Druck auf das Schambein aus, das Kind ist in einer für die gesunde Hüftreifung vorteilhaften Anhock-Spreiz-Haltung und wird gut gestützt. Das wurde übrigens sowohl von der AGR (Aktion gesunder Rücken e.V) sowie vom International Hip Dysplasia Institute untersucht und zertifiziert.
Die Nähe zum Tragenden fördert die Kommunikationsfähigkeit
Kommt das Baby auf die Welt, ist es erst einmal damit beschäftigt, sich an die Welt hier draußen zu gewöhnen. Der Platz im Tuch oder in der Trage vor dem Bauch von Mama oder Papa mit Blick zum Tragenden erfüllt dabei alle Bedürfnisse des Babys nach Nähe undGeborgenheit, Interaktion und Stimulation. Im Alter von zwei bis drei Monaten beginnt das Baby dann, aktiv mit dem Tragenden zu interagieren und lernt die Gesichtsausdrücke der Tragenden zu deuten. Auch das Einordnen von Situationen erfolgt oft über das Spiegeln der elterlichen Reaktionen. Wenn das Baby zum Beispiel sieht, dass Mama sich amüsiert, wenn die Ente quakt, findet das Baby das auch lustig. Diese spielerische Interaktion schult die Sozialkompetenz des Babys und trainiert seine Kommunikationsfähigkeiten. Irgendwann in dieser Zeit fängt auch die Objektpermanenz an sich auszubilden. Das heißt, dass das Baby versteht, dass Mama da ist – auch, wenn es Mama gerade nicht sehen kann.
Je aktiver das Baby wird, desto mehr Interesse hat es an seiner Umwelt und all den Reizen – Farben, Geräusche, Formen, Gerüche etc. Jeder Reiz wird als Impuls über die Nervenbahnen an unser zentrales Nervensystem (das Gehirn) weitergeleitet und dort verarbeitet. Unser Gehirn wird dabei von Millionen Reizen pro Sekunde bombardiert und es verarbeitet diese sensorischen Informationen automatisch: es filtert, sortiert, priorisiert, vergleicht mit vorherigen Erfahrungen und Eindrücken und versteht. Schon die kleinsten Abweichungen in der Wahrnehmungsverarbeitung können dazu führen, dass unser Gehirn mit Reizen überflutet wird oder zu viele Reize verwirft, ohne sie zu bearbeiten. Das kann bei der rasanten Gehirnentwicklung eines Babys immer mal wieder vorkommen. Wie schnell und gut diese Reize verarbeitet werden, ist daher individuell von Baby zu Baby verschieden und kann sich auch immer mal wieder entwicklungsbedingt ändern. Während also ein Baby nach einem kurzen Ausflug in die Eisdiele schon völlig erschöpft ist, kann ein anderes Baby danach noch problemlos einen Jahrmarktbesuch verarbeiten.
Das zeitlich limitierte nach vorne-Tragen stillt die Neugier
Mit ca. fünf bis sechs Monaten ist einigen Babys die Position vor dem Bauch in Blickrichtung zum Tragenden nicht mehr aufregend genug und sie beginnen damit, gegen diese Trageposition zu protestieren oder sich umzudrehen. Nun ist der perfekte Zeitpunkt, das Baby auf der Hüfte oder auf dem Rücken zu tragen. Physiotherapeuten sind sich übrigens sogar sicher, dass ein Baby ab einem gewissen Alter davon profitiert, die Bewegungsreize beim Tragen auch öfter mal in die „richtige“ Richtung wahrnehmen zu können.
Es gibt aber immer Eltern, die ihr Kind nicht auf der Hüfte oder dem Rücken tragen wollen oder auch nicht tragen können - zum Beispiel die taubstumme Mama, die darauf angewiesen ist, die Gebärden ihres Kindes sehen zu können und die eigenen Gebärden ebenfalls im Blickfeld des Kindes zu machen. Oder die Mama, die eine Schulterverletzung hatte und ihr Kind nicht sicher auf den Rücken bringen kann, weil ihr Bewegungsradius eingeschränkt ist. Oder eben einfach diejenige, die sich das Rückentragen nicht zutraut, seitliches Tragen auf der Hüfte nicht mag und die nun eigentlich gar nicht mehr tragen sondern nur noch im Kinderwagen schieben möchte.
Die Fronttrageweise mit Blick nach vorn bietet hier nun eine zusätzliche Option, die ab einem Alter von ca. fünf bis sechs Monaten in gewissen Situationen und in einer reizarmen (bekannten) Umgebung genutzt werden kann. Anders als die drei anderen Trageweisen auf Bauch, Rücken und Hüfte, die keine zeitliche Beschränkung haben, sollte die Position mit Blick nach vorn nur für einen kurzen Zeitraum (ca. 10-20 Min.) und auch nicht zum Schlafen genutzt werden.
Väter profitieren von der Trageweise mit Blick nach vorn
Diese vierte Trageposition ist eine Aktivposition, die keine der drei anderen Tragepositionen ersetzen kann. Sie bietet aber gerade Vätern eine neue Möglichkeit des Tragens und Interagierens mit ihrem Kind.
Wissenschaftler sind sich einig, dass Männer eine ganz andere Art und Form der Kommunikation und der Interaktion mit ihrem Baby haben als Mütter und dass das Baby von beiden Arten gleichermaßen profitiert. Gerade Väter werden von der Fronttrageweise in Blickrichtung besonders angesprochen und können durch diese Option gemeinsam mit ihrem Baby die Welt des Tragens für sich entdecken. Väter, die sich dazu entscheiden, ihr Baby zu tragen, beschäftigen sich so intensiv mit ihrem Baby, dass sie in der Lage sind, ihr Kind und seine Signale einzuschätzen und es letztendlich so zu tragen, dass das Tragen beiden Spaß macht.
Es liegt in der Verantwortung der Eltern, zu erkennen, wann ihr Kind groß genug ist, um körperlich in dieser Position in die Trage zu passen. Ist ein Baby zu klein ist, wird es einfach nicht über das Rückenteil hinausschauen können, sobald es richtig in der Trage platziert ist.
Eltern kennen ihr Kind und dessen Reizverarbeitung am Besten und können daher am ehesten einschätzen, ob es reif ist für diese Position. Wichtig ist dabei, dass die Eltern das Kind genau beobachten, mit ihm interagieren und es wieder zum Tragenden drehen, wenn sie erkennen, dass es dem Kind zu viel oder es müde wird. Schlussendlich gibt aber immer wieder Situationen, in denen es hilfreich sein kann, das Kind für eine kurze Zeit mit Blick nach vorn tragen zu können – auch wenn man den Rest der Zeit die anderen drei Tragepositionen bevorzugt.
Die Trage als Therapie-Hilfe
Die Trageweise mit Blick nach vorn kann aber noch mehr: Ergobaby unterstützt beispielsweise seit mehreren Jahren ein Drogenhilfe-Projekt, bei dem drogenabhängige substituierte Mütter über das Tragen eine Bindung zu ihrem Kind aufbauen sollen. Hier hat sie die Babytrage 360 gerade wegen der Option des Tragens vom Körper weg als besonders geeignet herausgestellt.
Manchmal ist nämlich die Bindung zwischen Mutter und Kind gestört bzw. hat einer von beiden ein Problem damit Nähe zuzulassen: Sei es die Mutter, weil sie selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat, die sie nicht vollständig verarbeiten konnte oder aber das Baby, weil es vielleicht eine traumatische Geburt und eine erste Lebenszeit mit vielen negativen Erlebnissen hinter sich hat. In diesen Situationen hilft es oft, die Nähe Schritt für Schritt zu steigern. Zuerst gewöhnt man sich an das Tragen in abgewandter Position, bevor man mit dem Gesicht zum Tragenden weitermacht.
Gerade bei Eltern-Kind-Paaren mit bereits vorhandenen Bindungsstörungen haben wir von vielen Trageberatern und Therapeuten, die mit diesen Paaren arbeiten, das Feedback erhalten, dass die Ergobaby 360 dank dieser Aktivposition oftmals die einzige Trage ist, mit der diese Kinder anfangs das Tragen tolerieren.